Internetproteste – Europäische Reform des Urheberrechts

Das Internet bäumt sich heute (wieder einmal) zur Protestplattform auf. Und auch wenn irgendein Protest immer noch mehr bewirken kann, als kein Protest, seien mir ein paar kritische Anmerkungen gestattet. Ich schicke vorweg, dass dies mit dem guten Willen geschieht, die Protestkultur verbessern zu wollen. Ich merke auch an, dass ich mich einer Stellungnahme zum Anlass der Proteste enthalte. Ich weiß nur, was man aus Medien und von Verbänden hört, habe mir aber den Gegenstand selbst noch nicht angeschaut.

Wikipedia

wikipedia.de am 21.03.2019

Wenn man heute (21.03.2019) die deutsche Seite der Wikipedia (die Desktopseite, die Version in der App soll wohl funktionieren) aufruft, erscheint die oben abgebildete Meldung. Ich habe mich sofort gefragt, warum heute die letzte Chance sein soll, wenn die Richtlinie/Verordnung – das EU-Parlament erlässt keine Gesetze – erst am 27.03.2019 verabschiedet werden soll. Richtig ist natürlich, dass Widerstand gegen Rechtsetzungsvorhaben, die man selbst ablehnt, so früh wie möglich einsetzen muss. Nichts ist bedauerlicher, als 10 Jahre später von der Umsetzung eines Rechtsaktes der EU betroffen zu werden und dann erst zu merken, was er bewirkt. Fragen Sie einfach einmal alle Bachelor- und Masterstudenten, die nach Umsetzung der Bologna-Reform gegen dieselbe auf die Straße gingen. Da kam man ca. 10 Jahre zu spät. Da war der Drops gelutscht, der Ofen aus, die Messe gelesen, Schicht im Schacht, aus die Maus.
Aber warum das jetzt hier die letzte Chance sein soll, erschließt sich nicht.

So wirkt der Protest etwas einfalls- und lustlos, auf die letzte Minute zusammengeschustert. Warum hat man nicht die Zeit genutzt und Wikipedia-Artikel mit kleinen schwarzen Zensurbalken und einem hübschen Mouseovereffekt versehen „Dieser Inhalt steht Ihnen zukünftig wegen Artikel 13 nicht mehr zur Verfügung“? Die gewählte Form passt auch nicht zu den Folgen. Es steht ja nicht zu erwarten, dass Wikipedia nach der Reform abgeschaltet wird. Man sollte den Leuten die Folgen des jeweiligen Vorhabens aber ehrlich vor Augen führen, zumal kreativer Protest i.d.R. eine höhere Reichweite hat.

Jodel

Nein es geht nicht um bayrische Ohrenfolter, sondern um die unter Studenten beliebte App; ein örtliches Twitter. Hier hat man sich schon mehr Mühe gegeben und einen ganz interessanten Effekt hervorgerufen, der vielen Nutzern wohl nicht bewusst ist.

Jodel

Im Bild ist ein Screenshot der App zu sehen. Die Nachrichten befinden sich zufällig auf schwarzem oder weißem Hintergrund. Bevor man eine Nachricht abschickt, weiß man nicht, welche Hintergrundfarbe man erhalten wird. Zufällig erhalten einige Nachrichten dann einen weißen Hintergrund, der dafür sorgt, dass man die Nachricht wegen der weißen Schrift nicht lesen kann. Im Bild sind drei Nachrichten zu sehen, zwei mit schwarzem Hintergrund (eine fängt am unteren Bildrand an) und eine auf weißem Hintergrund.

Der Effekt, der sich bei mir nach kurzer Zeit einstellte und der mich dann zum Nachdenken brachte war, dass ich an den weißen Nachrichten einfach vorbeiscrollte und mich deren Inhalt nicht weiter interessierte. Anderen Nutzern ging das wohl ähnlich. Nachfragen zu den Inhalten fanden sich jedenfalls in den schwarzen Nachrichten nicht.

Wirksamer Protest

Was Wikipedia richtig macht, ist die Aufforderung, seinem Abgeordneten zu schreiben. Will man etwas erreichen, sollte man mit seinem gewählten Vertreter in Kontakt treten. Je sachlicher (was nicht bedeutet, dass er nicht entschieden vorgetragen werden kann) dieser ausfällt, desto größer ist seine Chance auf Beachtung.

Es ist ähnlich den Dienstaufsichtsbeschwerden. Juristen bezeichnen diese Rechtsbehelfe (dazu gehören auch die Fachaufsichtsbeschwerde und die Rechtsaufsichtsbeschwerde) gerne als „3F“-Rechtsbehelfe: Formlos, Fristlos, Fruchtlos. Das stimmt aber nicht. Als ich noch Anwalt war, wollte das Jobcenter in einem Fall die vom Mandanten ausgestellte Vollmacht nicht akzeptieren, bzw. verwies mich darauf, dass die Vollmacht nicht bei der Akte sei (obwohl ich sie vorher rechtzeitig gefaxt und per Post übersandt hatte). Unmittelbar nach Eingang meiner Dienstaufsichtsbeschwerde erhielt ich einen Anruf der Sachbearbeiterin, zu der man mich vorher nicht einmal durchstellen wollte. Sie habe meine Vollmacht gefunden und nun meine Dienstaufsichtsbeschwerde auf dem Tisch. Auf Ihre Frage hin sagte ich Ihr, dass ich an der Dienstaufsichtsbeschwerde nicht festhalte, wenn wir nun endlich über die Sache reden können. Ein Telefonat genügte nämlich für die Angelegenheit.

Was ich damit zum Ausdruck bringen will: formlose Rechtsbehelfe und Eingaben an Abgeordnete sind umso wirkungsvoller je ernster und sachlicher man sie vorträgt. Online Petitionen, die Wikipedia auch erwähnte, halte ich demgegenüber für einen „3A“ Rechtsbehelf: ausdruckslos, aussagelos, aussichtlos. Wesentlich besser ist da der Gebrauch von Art 17 GG. Das macht dem Parlament Arbeit und kommt (in großer Masse) sofort an. Man stelle sich fünf Millionen Petenten vor, statt fünf Millionen Online-Petenten. Dieser Aufruf fehlt mir jedenfalls.

Jodel hat es jedenfalls geschafft, dass ich mich mit dem Thema bis zum 27.03.2019 auseinandersetzen werde. Das heißt, ich schaue mir mindestens einmal den Entwurf und dessen Begründung an; ein Minimum an Sachlichkeit.

Ein Kommentar zu „Internetproteste – Europäische Reform des Urheberrechts

  1. Ich kann als Einstieg die Videos von RA Solmecke auf Youtube empfehlen – als Jurist aus diesem Fachbereich ist er durchaus kompetent, um darüber zu informieren.

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