„Demokratie bedeutet übersetzt …

… alle dürfen mitmachen.“ Das lässt uns zumindest die Initiative „Demokratie: Gute Idee!“ des Thüringer Landtages wissen.

Bevor ich zum Inhaltlichen komme sei mir eine kleine Vorbemerkung gestattet. Immer wenn es mich über die Landesgrenze nach Niedersachsen verschlägt, weist mich das Land Niedersachsen darauf hin, dass Niedersachsen immer eine gute Idee sei. Ich habe nie verstanden, warum sich Bundesländer ein Motto geben müssen. Sachsen-Anhalt war ja früher das Land der Frühaufsteher, wobei die Gründe m.E. nicht dafür sprachen, dass der ganzen Welt auch noch mitzuteilen. Der Nachfolgeslogan „Sachsen-Anhalt: Ursprungsland der Reformation“ informierte die Reisenden, was irgendwie viel charmanter ist als simple Werbung. Leider stimmte er inhaltlich nicht. Ursprungsland der Reformation war das Kurfürstentum Sachsen, wenn man es als „Land“ begreifen möchte. Damals gehörte Wittenberg nämlich zu selbigem. Nach derselben Logik wäre Russland Ursprungsland des Krimsekts, die Türkei Ursprungsland von Byzanz und die Vereinigten Staaten Ursprungsland der Indianer. Warum nun Niedersachsen immer eine gute Idee ist, bleibt unklar. Worauf bezieht sich das? Bezieht es sich auf einen Urlaub, auf einen Arbeitsplatz oder ist es gar die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“?

Zur Demokratiekampagne: Der Slogan „Demokratie: Gute Idee!“ klingt so, als wäre jetzt gerade keine Demokratie in Thüringen und den Leuten ist plötzlich die Idee der Demokratie gekommen. Zumindest impliziert das das Ausrufezeichen am Ende. Das Ganze könnte in einer Folge der Anstalt laufen: Robert Habeck, gespielt von Max Utthoff unterhält sich mit Bodo Ramelow, gespielt von Claus von Wagner. Dabei sagt Robert Habeck: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“ woraufhin Bodo Ramelow erwidert: „Demokratie: Gute Idee! Robert“.

Und schließlich: Demokratie bedeutet übersetzt nicht, alle dürfen mitmachen. Es ist auch Unsinn, zu behaupten, alle dürften mitmachen. Art 38 Abs. 2 GG lässt uns wissen, wer mitmachen darf und wer nicht. Für Thüringen gilt es natürlich einen Blick in die Landesverfassung zu werfen. Dort bestimmt Art 46 Abs. 2 ThürVerf aber Ähnliches. Darüber hinaus ist dieses „mitmachen“ nicht nur personell beschränkt, sondern in ganz erheblichem Maße auch inhaltlich. Die demokratische Mitwirkung erschöpft sich in der Wahl der Abgeordneten. Volksentscheide, wie sie die Thüringer Verfassung zulässt, sind seltene Ausnahmen.

Ich spare es mir an dieser Stelle auf sonstige Elemente der Seite www.dein-landtag.de einzugehen. Dann würde ich hier nicht fertig werden („Demokratie ist keine Einbahnstraße! Demokratie ist Geben & Nehmen. Demokratie ist Für & Wider. Demokratie ist Meinungspluralismus. Die Vielfalt an Stimmen. Und ja, keine sollte ungehört bleiben.“ – Hervorhebung von mir: Subjekt + Prädikat = Satz). Die Seite ist peinlich. Sie richtet sich ihrer Aufmachung nach an Personen, die das Wahlalter (egal in welchem Bundesland) noch nicht erreicht haben. Wenn man der Demokratie einen Gefallen tun möchte, sollte man sie nicht mit einer Aneinanderreihung von hippen Wortpaaren garnieren oder irgendwie zu verschleiern versuchen, was sie eigentlich ist. Man sollte sie mit einer gewissen Würde und mit einem gewissen Ernst behandeln, denn Demokratie ist kein Kindergeburtstag und Demokratie ist gefährlich für den Einzelnen, weshalb es Grundrechte auch in einer Demokratie geben muss. Wenn wir Demokratie so leben, wie es diese Seite suggeriert, befürchte ich, dass uns die Gründe verloren gehen, warum Demokratie historisch und philosophisch eine gute Idee war und ist.

Ein bisschen Spieltheorie

Greta Thunberg wird „nie aufgeben“, lassen uns verschiedene Nachrichten wissen. Das Problem mit „nie aufgeben“ ist, es ergibt nur Sinn bei einem endlichen oder finiten Problem. Bei Problemen die unendlich oder infinit sind, kommt man mit dieser Einstellung nie voran. Zumindest wird man das Gefühl haben der Hydra einen Kopf abzuschlagen während 3 neue Köpfe nachwachsen.

„Das Klima“ ist ein solches Problem. Denn der Klimawandel an sich dürfte eine Konstante sein. Es gibt mithin keinen Punkt in der Zukunft, an dem wir sagen können: Jetzt ist das Klima gerettet, wir können alle nach Hause gehen. Es wird mal mehr und mal weniger zu tun geben. Bei infiniten Problemen bietet es sich daher an, eine gewisse Haltung zu dem Problem zu entwickeln und jede Handlung darauf hin zu untersuchen, ob sie dieser Haltung entspricht.

Instruktiv – und ich weiß, dass ich in letzter Zeit häufiger auf TED-Talks verweise – der Vortrag von Simon Sinek über den Krieg gegen den Terror.

Spam

Ich habe gerade folgende Spam Nachricht in meinem Postfach gehabt:

Haben Sie Probleme mit Ihrem Gewichtsverlust? Wir bieten Ihnen die besten Hungerunterdrücker – Garantierte Lieferung – Schnelle Gewichtsabnahme mit unseren Produkten. Besuchen Sie unsere Website oder senden Sie uns eine E-Mail

Eine Spam Mail

Ja, ich habe „Probleme“ mit meinem Gewichtsverlust. Sollte man mir da nicht eher Spiegeleier, Bacon und irgendwas, das mit sehr viel Käse überbacken ist, schicken? Außerdem: „Garantierte Lieferung“? Das klingt nicht sehr vertrauenserweckend. Hatten die in der Vergangenheit Probleme mit den Lieferungen, so dass sie es jetzt ihren Kunden „garantieren“?

Haftbedingungen made in USA

Wie n-tv.de berichtet, kommt Joaquín „El Chapo“ Guzmán, über dessen Strafverfahren ich hier schon etwas bemerkte, wahrscheinlich für den Rest seines Lebens ins Bundesgefängnis ADX Florence. Über die Haftbedingungen weiß Wikipedia zu berichten:

Eine Standardzelle im Supermax Florence ist mit einem im Boden verankerten Stuhl, einem unverrückbaren Betontisch, sowie einem Bett, einer Toilette, einer zeitgesteuerten Dusche, einem Spiegel aus poliertem Stahl und einem Zigarettenanzünder ausgestattet. Alle Möbel mit Ausnahme des Spiegels bestehen aus Stahlbeton.[1] Einige Zellen verfügen über ein Fenster an der Decke, sodass die Häftlinge nur den Himmel sehen können. …

Persönlicher Besitz in den Zellen ist stark eingeschränkt und auf maximal 0,09 m³ (genauer: 3 ft³) begrenzt – also ungefähr ein 90 cm langes Regal mit 30 cm Tiefe und 30 cm Höhe. Rechtsunterlagen dürfen sich nur auf aktuelle Fälle beziehen. …

Die Inhaftierten verbringen pro Tag 23 ½ Stunden in ihrer Einzelzelle, in der sie täglich siebenmal gezählt werden. Das Essen wird in den Zellen ausgegeben, um Häftlingskontakte zu vermeiden.

Wikipedia m.w.N.

Die Insassen dürften wahrlich keine angenehmen Zeitgenossen sein, die Haftbedingungen sind aber jenseits des nachvollziehbaren Maßes. Man mag ja kein Mitleid mit den Insassen haben, aber man sollte sich schon fragen, welche Art von Bestrafung in diesem Gefängnis eigentlich den Schwerpunkt bildet. Die Freiheitsentziehung scheint es mir angesichts einer Zelle im Format 3,6 x 2,1 Meter, Fernsehen als einziger Beschäftigung und kaum bis keinen Kontakt zu anderen Menschen nicht zu sein.

Ich kann die Einwände gegen deutsche und skandinavische Haftbedingungen, die gelegentlich mit „Urlaub“ verglichen werden, insoweit nachvollziehen, als das die meisten, die diese Einwände vorbringen, selbst noch nicht erlebt haben, wie sich Freiheitsentziehung anfühlt und wenig auf im Laufe der Zeit gesammelten Erfahrungen hinsichtlich der Vollstreckung geben. Für die amerikanische Sicht auf deutsche Gefängnisse und ein paar Einblicke in diese Erfahrungen empfehle ich diese Video. Auch wenn man nicht alles teilen muss, ist der Vortrag sehr informativ.

Hitzewelle in Ostdeutschland

Der Dürremonitor des UfZ zeigt derzeit für Sachsen-Anhalt eine „außergwöhnliche Dürre“ an. Am Sonntag konnte man bei 39°C die Auswirkungen in der Stadt gut beobachten:

Teilversäumnisurteile und Klagerücknahmen

Zur merkwürdigsten Urteilskonstellation kommt es m.E. bei einer Klagerücknahme nach dem ein Teilversäumnisurteil ergangen ist.

Folgender (Standard-)Fall:

In der Hauptsache begehrt der Kläger Zahlung von 6.000 € und zusätzlich nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 500 €. Das Gericht ordnet das schriftliche Vorverfahren an und es erfolgt keine Verteidigungsanzeige des Beklagten. Der Antrag ist nur hinsichtlich der Hauptsache, also den 6.000 € schlüssig. Die Rechtsanwaltskosten sind (mal wieder möchte man fast sagen 😉 )unschlüssig, weil Verzug erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, als die Gebühren schon angefallen waren. Grundsätzlich sind Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz aus Verzug nämlich nur unter den Voraussetzungen des § 286 BGB erstattungsfähig. Wenn der Rechtsanwalt aber selbst erst den Verzug des Gegners herbeiführt, sind seine Gebühren schon angefallen und beruhen damit nicht auf dem Verzug.

Das Gericht erlässt dann ein Teilversäumnisurteil und weist den Kläger darauf hin, dass diese Position unschlüssig ist, mit der drohenden Folge des § 331 Abs. 3 S. 3 ZPO. Nimmt der Kläger jetzt seine Klage zurück, stellt sich die Frage, wie die Endentscheidung aussehen muss. Ich meine einmal gelesen zu haben, dass in einem solchen Falle nur ein Kostenbeschluss ergeht, finde aber die Stelle nicht mehr. BeckOK ZPO/Elzer ZPO § 308 Rn. 38 sieht jedoch auch in diesem Fall eine Entscheidung durch Schlussurteil vor. Das habe ich jetzt einmal gemacht. M.E. sollte das hier ausreichend sein, ich lasse mich aber gerne belehren (alle Daten geändert):

———————————-
Im Namen des Volkes!
Schlussurteil

In dem Rechtsstreit

des Herrn X
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte RA Y

gegen

Herrn Z
 – Beklagter –

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Halle im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 3 ZPO am 01.03.2019 durch den Richter Häntschel als Einzelrichter

für  R e c h t  erkannt:

  1. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits
  2. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

**********************

Tatbestand

Das Gericht hat in der Hauptsache mit Teilversäumnisurteil vom 02.01.2019 entschieden.

Der Kläger hat den Antrag zu 2 aus der Klageschrift vom 01.12.2018 mit Schriftsatz vom 01.02.2019 zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Nach der wirksamen Klagerücknahme, § 269 Abs. 1 ZPO, war nur noch über die Kosten des Rechtsstreits, ohne mündliche Verhandlung, § 128 Abs. 3 ZPO, zu entscheiden, die dem Beklagten aufzuerlegen waren, weil er in der Hauptsache durch Teilversäumnisurteil vom 02.01.2019 unterlag, § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. …

Häntschel
————————–

Ja, es ist ein Schlussurteil das mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann. Hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit gehe ich jetzt von § 709 ZPO aus, weil der Wortlaut des § 708 Nr. 2 ZPO nicht erfüllt ist. Gleichwohl erscheint mir das nicht unproblematisch. Denn irgendwie steckt man ja in der Versäumnisurteilssituation. Gäbe es § 308 Abs. 2 ZPO nicht und würde man den Beklagten zu den Prozesskosten auf Antrag des Klägers verurteilen, würde man ja auch hinsichtlich der Kosten nach § 331 Abs. 3 S. 1 ZPO entscheiden und dann das Urteil nach § 708 Nr. 2 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklären.

Solche Urteile fühlen sich einfach verrückt an.

1.500 m² Grundstück zu verkaufen, Flakturm inklusive

Das Amtsgericht Riesa hat, m.E. zu Recht, entschieden, dass kamerabestückte Drohnen i.d.R. über dem eigenen Grundstück abgeschossen werden dürfen. Im entschiedenen Fall hatte der Angeklagte die 1.500 € teure Drohne mittels Luftgewehr aus der … Luft geholt und damit zerstört.

Die Staatsanwaltschaft klagte daraufhin wegen Sachbeschädigung an. Das Gericht hielt aber § 228 BGB für einschlägig und sprach den Angeklagten frei. Ob § 228 BGB oder § 34 StGB hier die speziellere Norm ist, kann sich ja jeder selbst überlegen.

Walter Lübcke und die Folgen für die Meinungsfreiheit

Auf LTO ist ein bemerkenswerter Artikel unter dem Titel „Wie stoppt man den Hass auf Poli­tiker?“ von Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel erschienen. Er beginnt so:

„Sticks and stones may break bones, but your words will never hurt me.“ Im Geiste dieses, aus den USA stammenden Aphorismus verfasste ich mit einem Mit-Doktoranden vor rund zwanzig Jahren ein flammendes Plädoyer für die Abschaffung des strafrechtlichen Ehrenschutzes. Das Rechtsgut Ehre sei zu unbestimmt, und die Ansichten darüber, was ehrverletzend sei, gingen zu weit auseinander als dass sich „die“ Ehre strafrechtlich schützen ließe. Vor allem aber solle der Staat nicht mit seinem schärfsten Schwert in die Meinungsfreiheit eingreifen, weil in öffentlichen und privaten Foren schützenswerte Meinungen und Ideen entstünden, selbst wenn Einzelne beleidigende Worte verwenden sollten.

Der Aufsatz ist Ausdruck eines seinerzeit verbreiteten radikal-liberalen, ja libertären Denkens. Veraltet ist der Beitrag aber auch deswegen, weil um das Jahr 2000 noch keine Medien existierten, die Herr und Frau Jedermann selbständig und mit großer Reichweite zur Verbreitung ehrverletzender Äußerungen hätten nutzen können: Politiker und andere pflegte man am Stammtisch zu beleidigen, ehrverletzende Leserbriefe an Zeitungen wurden von Redaktionen gekürzt oder abgelehnt und Flugblätter fehlte jene Wirkung, die Posts, Tweets oder Youtube-Videos entfalten.

Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel

Er endet so:

Die Karlsruher Richter sollten prüfen, ob ihre enge Auslegung der Schmähkritik bzw. ihre großzügige Interpretation des § 193 StGB jenen Gefahren gerecht wird, die heute dem politischen System drohen: Wer Politiker für weitgehend schutzlos erklärt, weil nicht Koch werden solle, wer die Hitze nicht vertrage, könnte irgendwann ohne Köche und Essen dastehen.

Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel

Dazwischen ist „viel“ passiert. Um genau zu sein, das Internet und ein wohl rechtsextremer Anschlag auf einen Politiker.

Ich mahne bestimmt seit meiner Studienzeit (2005, 4 Jahre nach 9/11) immer und immer wieder dasselbe: Die Terroristen gewinnen auch dann, wenn wir anfangen unsere Freiheitsrechte aufgrund der Terrorakte zu beschneiden.

Bemerkenswert an dem oben zitierten Artikel ist die Geschwindigkeit, mit der Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel von mehr Freiheit zu viel weniger Freiheit gekommen ist.

Ich stelle einmal die These in den Raum, dass es einer Gesellschaft mit „radikaler“ Meinungsfreiheit „besser“ ginge, als mit immer neuen Einschränkungen derselben. Wenn sich alle Mitglieder der Rechtsgemeinschaft im Klaren darüber sind, dass sie ohne Konsequenzen sagen können was sie wollen (so wohl auch die Ansicht Kubiciel zu Beginn der 2000er), können sie sich viel Luft machen. Die Meinungsfreiheit wirkt dann wie ein Ventil.

Auf der anderen Seite kann die sprachliche Verrohung in der Tat ein Vorzeichen für Schlimmeres sein. Schaut man sich die Vorstadien verschiedener Bürgerkriege an, sind diese in fast allen Fällen geprägt von einer Abwertung des politischen Gegners.

Irgendwo dazwischen wird man wohl einen Weg finden müssen.

Ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass das „ständige“ herumdrehen am Grundgesetz und seinen Freiheitsrechten einen ebenfalls destabilisierenden Charakter entfaltet. Der Zweck der Verfassung ist doch gerade, bestimmte einmal als richtig erkannte Regelungen vor der Beliebigkeit zu bewahren. Mit Art 79 Abs. 3 GG gehen wir sogar soweit, dass die darin aufgezählten Prinzipien dem Verfassungsgesetzgeber gänzlich entzogen werden sollen. Wenn der Verfassungsgesetzgeber aber regelmäßig die Axt an die Freiheitsrechte legt, sinkt auch die Hemmschwelle für jede weitere Änderung. Erinnert sich noch jemand an den Aufschrei, der die Republik erschütterte, als es um die Volkszählung ging? Das lockt heut auch keinen mehr hinterm Ofen vor. Genau diese Abstumpfung gilt es nicht zuzulassen.

Deswegen muss ich Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel auch entschieden widersprechen; nicht weil ich ähnlich libertäre Ansichten zum Ehrschutz habe, wie er vor 20 Jahren, sondern weil das Grundgesetz diese Änderung aushält; weil die Gründe für die Meinungsfreiheit immer noch dieselben sind, wie vor 250 Jahren! Das Radio und der Fernseher waren dem Grundgesetz bekannt, als es die Meinungsfreiheit festschrieb. „Erfunden“ wurde die Meinungsfreiheit aber schon zu einer Zeit, als es weder Radios noch Fernsehen gab. Hätten sich die Kubiciels der 2019er Prägung 1949 mit Verweis auf die Propagandaerfahrungen der Nationalsozialisten durchgesetzt, wären es wohl nur 18 Artikel zu den Grundrechten geworden.

ArbZG und Anwälte; EuGH und Unabhängigkeit; KI und Demokratie

Ein kurzes Lebenszeichen von mir, nachdem es hier so lange still war. Das ist, einige mögen es kaum glauben, meinem derzeitigen Arbeitsanfall zu verdanken. Dabei gibt es so viele Dinge, zu denen ich gerne etwas sagen wollte.

Da gab es die Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung und ich habe mich gefragt, ob die Staatsanwaltschaften nun anfangen gegen Großkanzleien wegen § 23 ArbZG zu ermitteln. Jedenfalls die Nummer 2 scheint mir einigermaßen auf der Hand zu liegen, wenn man sich anschaut, dass Großkanzleien solche Modelle anbieten und was das im Umkehrschluss bedeuten muss. Ich höre zwar immer von dem Argument, die dort beschäftigten Rechtsanwälte seien alles leitende Angestellte, weiß aber nicht inwieweit das tatsächlich zutrifft. Vielleicht mag mir ein Arbeitsrechtler kurz erklären, warum diese Strafvorschrift (offensichtlich?) nicht einschlägig ist.

Dann gab es den Hinweis eines Lesers auf den Vorlagebeschluss des VG Wiesbaden, Beschluss vom 28.03.2019 – 6 K 1016/15. Vielen Dank für diesen Hinweis, der mich auch weit vor der LTO Meldung zu diesem Beschluss erreichte. Ich hatte mir den Beschluss auch schon angeschaut und mich (nicht ganz ernst gemeint) gefragt, ob so eine Vorlage überhaupt zulässig ist. Wenn sie nämlich inhaltlich begründet wäre, wäre das vorlegende Gericht kein „Gericht“ i.S.d. Art 267 AEUV und könnte damit nicht vorlegen.

Schließlich – wobei „schließlich“ hier nur die beispielhafte Aufzählung beenden und damit der um sich greifenden Langeweile ob der Inhaltsleere dieses Beitrages dienen soll – wollte ich mich verstärkt dem Thema der künstlichen Intelligenz auch aus einer rechtsphilosophischen Sicht widmen. Das Thema brennt mir seit einiger Zeit unter den Nägeln. Zuletzt bin ich auf ein interessanten Vortrag von César Hidalgo gestoßen, zu dem es einiges zu bemerken gibt. So viel vorab (Spoilerwarnung): Ich kann der Idee durchaus etwas abgewinnen. Wer sich das Video anschaut, sollte sich aber während des Vortrages fragen, wie die Macht der Gesetzesinitiative kontrolliert wird und ob sich das von ihm beschriebene Problem dann nicht in dieses Stadium hineinverlagert.

Versäumnisurteile im schriftlichen Vorverfahren

Nach AG Sondershausen, Urt. v. 30.3.2017 – 4 C 11/17, soll der Beklagte zu diesem Termin analog § 336 Abs. 1 S. 2 nicht zu laden sein. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass dem Kläger, nach erfolgreicher Beschwerde gegen die auf fehlerhaft angenommener fehlender Säumnis des Beklagten beruhende Zurückweisung seines Antrags auf Erlass des Versäumnisurteils die Säumnissituation erhalten bleiben soll, er also eine „zweite Chance“ auf das ihm zu Unrecht verwehrte Versäumnisurteil erhält (→ § 336 Rn. 13.1). Ob dieser Gedanke ohne weiteres auf den Fall des auf § 331 Abs. 3 S. 3 gestützten Nichterlasses eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren übertragbar ist, erscheint indessen zweifelhaft. Denn hier beruht der Nichterlass des Versäumnisurteils nicht auf einem Rechtsanwendungsfehler des Gerichts, sondern auf der (teilweisen) Unschlüssigkeit der Klage. Dem AG Sondershausen ist zwar zuzugeben, dass die zu Unrecht erfolgte Annahme mangelnder Schlüssigkeit ein gerichtlicher Rechtsanwendungsfehler wäre. Die Frage der Schlüssigkeit aber, wie in dem die Frage der Säumnis betreffenden Beschwerdeverfahren nach § 336 Abs. 1 S. 1 (→ § 336 Rn. 10), ohne Beteiligung des Beklagten zu erörtern, erscheint nicht interessengerecht, denn der Beklagte könnte ja allein deshalb von der Anzeige seiner Verteidigungsbereitschaft abgesehen haben, weil er die Klage ebenfalls für (teilweise) unschlüssig hielt und deshalb nicht mit dem Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren rechnen konnte. Unabhängig hiervon muss auch Bedenken begegnen, das von Verfassungs wegen garantierte Recht des Beklagten, in einer mündlichen Verhandlung gehört zu werden (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, allein auf der Grundlage einer Analogie zu beschneiden. Dem unabweislichen Interesse des Klägers, bereits im schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil zu erhalten, kann ggf. durch schriftliche Hinweise des Gerichts und die Ermöglichung einer schriftsätzlichen „Nachbesserung“ des Klagevortrags entsprochen werden.

BeckOK ZPO/Toussaint, 32. Ed. 1.3.2019, ZPO § 331 Rn. 23.1

Das Urteil (AG Sondershausen, Urt. v. 30.3.2017 – 4 C 11/17) ist von mir und die Argumente in der Kommentierung nicht überzeugend, da das Recht auf rechtliches Gehör nicht verletzt wird.

Die Ausgangslage ist relativ simpel:

Der Kläger erhebt eine Klage, die das Gericht für (teil-)unschlüssig hält. Der Standardfall, in dem ich das hatte, war der begehrte Zugang zum Stromzähler eines Kunden, der seine Rechnungen nicht bezahlte. Der Anspruch ergibt sich aus § 21 NAV (Dort ist nur ein Zutrittsrecht zum Stromzähler geregelt. Die Kläger haben meistens aber beantragt „Zutritt zum Stromzähler und zur Wohnung …“. Auf letzteres besteht m.E. kein Anspruch.). Wenn das Gericht nun das schriftliche Vorverfahren anordnet, § 276 ZPO, kann ein Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 3 ZPO bei fehlender Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nicht ergehen, weil dies die Schlüssigkeit der Klage voraussetzt. Das Gericht muss mündlich verhandeln, § 331 Abs. 3 S. 3 ZPO.

M.E. ist zu dieser mündlichen Verhandlung der Beklagte nicht zu laden. Die Situation ähnelt der, die § 336 Abs. 1 ZPO regelt.


§ 336 Rechtsmittel bei Zurückweisung
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückgewiesen wird, findet sofortige Beschwerde statt. Wird der Beschluss aufgehoben, so ist die nicht erschienene Partei zu dem neuen Termin nicht zu laden.
(2) Die Ablehnung eines Antrages auf Entscheidung nach Lage der Akten ist unanfechtbar.

Die Norm hat den Fall vor Augen, in welchem der Beklagte (oder der Kläger) im Termin nicht erscheint und das Gericht zu Unrecht kein Versäumnisurteil erlässt. Die sofortige Beschwerde wird dann im normalen Gerichtsbetrieb von der nächsten Instanz geprüft, also möglicherweise mehrere Wochen nach dem Termin. Stellt die nächste Instanz fest, dass das Gericht ein Versäumnisurteil hätte erlassen müssen, erlässt nicht etwa die nächste Instanz das Versäumnisurteil gleich selbst, sondern das Ausgangsgericht muss neu terminieren und den Beklagten/Kläger zu dieser Verhandlung nicht laden (kommt derjenige dennoch, weil er irgendwie von dem Termin erfahren hat, kann kein Versäumnisurteil ergehen). Es muss also die Säumnissituation erneut herstellen.

Im schriftlichen Vorverfahren stellt sich diese Lage ganz ähnlich: das Gericht kann mit seiner Ansicht, die Klage sei unschlüssig, auch falsch liegen. Wenn sich das erst in der mündlichen Verhandlung herausstellt, hat es dem Kläger mit der Ladung des Beklagten -wenn dieser daraufhin erscheint – rechtsfehlerhaft die Säumnissituation genommen.

Der Beklagte ist daher bei angenommener Unschlüssigkeit und Säumnis im schriftlichen Vorverfahren analog § 336 Abs. 1 S. 2 ZPO nie zu laden.

Auch aus Sicht des Beklagten ist das der richtige Weg, was Toussaint in der Kommentierung übersieht. Es sind letztlich nur folgende Situationen für die mündliche Verhandlung ohne Beklagten denkbar:

  1. Der Kläger überzeugt in der mündlichen Verhandlung das Gericht von einem Rechtsanwendungsfehler.
    Das Gericht erlässt dann Versäumnisurteil, weil es das schon vorher hätte tun müssen. In diesem Fall steht der Beklagte nicht besser oder schlechter, als er ohnehin stünde. Gegen ihn ergeht Versäumnisurteil, wie es auch vorher gegen ihn hätte ergehen müssen. Hätte das Gericht den Beklagten geladen und hätte dieser prozesstaktisch ohnehin nur die Flucht in die Säumnis antreten können, hätte er auch noch Aufwendungen für die Anreise zu Gericht tragen müssen. Der Beklagte steht in diesem Fall also entweder nicht schlechter oder sogar besser, als wenn er zum Termin geladen wäre
  2. Der Kläger dringt mit seiner Argumentation weder rechtlich noch tatsächlich durch. Das Gericht weist die Klage durch unechtes Versäumnisurteil (Endurteil) ab. Der Beklagte steht hier besser da, als mit Ladung zum Termin, da er sich Fahrtkosten sparen konnte.
  3. Der Kläger bessert den Sachvortrag (also nicht nur die Rechtsausführungen) nach, die Klage ist nicht mehr unschlüssig. (Diesen Fall greift Toussaint in der Kommentierung auf). In diesem Fall kann das Gericht aber mangels Gewährung rechtlichen Gehörs keine Versäumnisentscheidung treffen. Es ist vielmehr ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, zu dem der Beklagte zu laden ist. Diesen Fall regelt das Gesetz ausdrücklich in § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Der Kläger ist hier „selbst schuld“ daran, dass die Säumnissituation entfällt.

Der Beklagte, der die Klage bekommt und die Unschlüssigkeit sieht und deshalb nicht zu Gericht geht, weil er davon ausgeht, dass auch das Gericht diesen Fall erkennen wird, genießt mithin denselben Schutz, wie der Beklagte, der nicht zum Termin geladen wird. Hat er mit seiner Ansicht Recht, dass die Klage unschlüssig ist, wird sie entweder durch unechtes Versäumnisurteil abgewiesen (er spart Fahrtkosten) oder er bekommt einen geänderten Sachvortrag mit einer neuen Terminsladung zugestellt und kann erneut die Schlüssigkeit prüfen. Letztlich droht ihm, sollte seine Rechtsauffassung nicht zutreffen, ein Versäumnisurteil wie zuvor auch. Es ergeht in keinem Fall eine Entscheidung auf Grundlage eines dem Beklagten unbekannten Sachverhaltes. Das Risiko der falschen rechtlichen Würdigung, trägt aber jeder Beklagte, der keine Verteidigungsanzeige abgibt.