Ein kleiner Nachtrag zur rechtlichen Situation um Boris Palmers Zwischenfall. Mittlerweile berichtete auch lto.de von dem Vorfall und befragte Professor Jörg Ennuschat, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht an der Ruhr-Universität Bochum.
Im gestrigen Beitrag habe ich Palmers Verhalten an § 26 PolG B-W gemessen. Wenn man es ganz genau nimmt, muss man unterscheiden, zu welchem Zweck er die Identität festgestellt wissen wollte. Geht man von der Schilderung Palmers aus, wonach der Student lautstark randalierte und er daraufhin eingeschritten sei, erfolgte die Identitätsfeststellung wohl nicht zur Gefahrenabwehr, sondern um einen Verstoß gegen § 2 der polizeilichen Umweltschutzverordnung der Stadt Tübingen (so der korrekte Name) zu verfolgen.
Der Student, der mich attackierte, hat absichtlich gegen §2 der örtlichen Polizeisatzung verstoßen: „Es ist verboten, in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr die Nachtruhe anderer mehr als nach den Umständen unvermeidbar, insbesondere durch lärmende Unterhaltung, Singen, Schreien oder Grölen zu stören.“ Hierfür ist ein Ordnungsgeld bis 5000 Euro vorgesehen. Aus diesem Grund war ich berechtigt, seine Personalien festzustellen.
Das habe ich klar und deutlich mit meinem Dienstausweis verlangt.
Wenn das so ist, Boris Palmer also die Identität nicht auch feststellen wollte um befürchtete weitere Ruhestörungen zu verhindern, dann dürfte Herr Palmer die Identität zwar auch feststellen, weil er dann nach § 18 Abs. 3 PolG B-W zuständig war und sich auf § 46 Abs. 2 OWiG i.V.m. § 163b StPO stützen konnte.
Er hat dann aber ein ganz anderes Problem: Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht ist der Beschuldigte, wie im Strafverfahren, zu belehren, § 46 Abs. 2 OWiG i.V.m.§ 136 StPO. Ich glaube kaum, dass das im Eifer des Gefechts geschehen ist.
Tübingen, das Gotham City Baden-Württembergs – Boris Palmer als Batman. Einer Meldung von ntv.de zufolge soll er einem 33 Jahre alten Studenten und seiner Begleitung nachgelaufen sein, nach dem diese etwas zu ihm gesagt hätten. Was genau der Student zu ihm sagte, ist umstritten. Boris Palmer habe den Studenten dann aufgefordert sich auszuweisen. Auch ein Foto soll der Oberbürgermeister gemacht haben. Als Chef des Ordnungsamtes sei er dazu auch befugt gewesen. Er gab auf seinem Facebookprofil ferner an, in dem Verhalten des Studenten sei eine Störung der Nachtruhe zu sehen gewesen, weshalb dieser nun im Nachgang auch ein Ordnungsgeld zahlen müsse.
Die Zuständigkeit des Oberbürgermeisters
Hinsichtlich der Zuständigkeit hat Herr Palmer jedenfalls recht. Nach § 62 Abs. 4 S. 1 PolG B-W sind die Gemeinden Ortspolizeibehörden. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind diese auch allgemein sachlich zuständig, § 66 Abs. 2 PolG B-W. Nach § 44 Abs. 3 S. 1 GemO B-W ist der Bürgermeister für die Erledigung von Weisungsaufgaben innerhalb der Gemeinde zuständig. Dass es sich bei den Aufgaben nach dem Polizeigesetz um Weisungsaufgaben handelt, folgt aus § 62 Abs. 4 S. 2 PolG B-W.
Der Ausweis
Also das dieser Ausweis den Betroffenen nicht überzeugte, ist ja nur sehr schwer vorstellbar. Es stimmt schon nicht, dass dieser Ausweis, den Inhaber zu irgendetwas berechtigt. Das Gesetz berechtigt den Inhaber. In den Händen des republikweit bekannten Oberbürgermeisters von Tübingen dürfte ein Ausweis, der die Stellung als Organ der Stadt (und damit als der für den Vollzug bestimmter Gesetze Zuständige), kenntlich macht, auch überflüssig sein. Ich stelle mir die Situation daher ein wenig merkwürdig vor. Da steht ein gestandener Politiker und versucht mit einem bedeutungslosen Ausweis einen Bürger davon zu überzeugen, dass er polizeiliche Befugnisse wahrnehmen darf, die auf dem Ausweis nicht ausdrücklich vermerkt sind. Klar sind die dienstlichen Aufgaben auch die der Ortspolizei. Für den Oberbürgermeister sind aber, wie wir gesehen haben, alle Weisungsaufgaben, die den Gemeinden übertragen wurden, dienstliche Aufgaben und für den Bürger ist es alles andere als alltäglich, vom Oberbürgermeister polizeilich in Anspruch genommen zu werden.
Die Identitätskontrolle
Falls, wie von ihm auf seiner Facebookseite behauptet, eine Störung der Nachtruhe tatsächlich vorlag, wäre er nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 PolG B-W in der Tat berechtigt gewesen, die Personalien festzustellen. Hierzu hätte er, falls eine Identitätsfeststellung nicht sicher möglich gewesen wäre, den Betroffenen auch „zur Dienststelle“ verbringen können, was in seinem Fall dann wohl doch wieder eine Stelle des Polizeivollzugsdienstes gewesen wäre. Ob davon auch das Fotografieren umfasst ist, wird man in diesem Fall wohl bejahen können. Die Aufzählung in § 26 Abs. 2 PolG B-W ist nicht abschließend und das Foto dürfte auch die zweckmäßigere Maßnahme gewesen sein, um die Situation nicht noch weiter zu eskalieren. (Wie sich hierzu die §§ 19, 21 PolG B-W verhalten, habe ich mir jetzt nicht näher angeschaut, dass überlasse ich den interessierten Lesern.)
Die sogenannten Standardbefugnisse müssen aber auch, wie jedes staatliche Handeln, verhältnismäßig sein. Sollte Boris Palmer tatsächlich den Streit (mit) heraufbeschwört haben, dürfte es mit der Verhältnismäßigkeit der Identitätsfeststellung nicht ganz so einfach werden. Ob der Politiker diesen Streit wirklich vor einem Verwaltungsgericht geklärt sehen will, mag ich bezweifeln.
Die Unschuldsvermutung
Dass Boris Palmer die Polizeiarbeit lieber seinen geschulten Mitarbeitern des ihm unterstellten Ordnungsamtes oder der „richtigen“ Polizei überlassen sollte, sieht man daran, dass ihm in seiner Äußerung auf Facebook die Unschuldsvermutung (an mehreren Stellen) völlig egal ist. Die gilt nämlich auch im Ordnungswidrigkeitenrecht und ist auch von (Ober-)Bürgermeistern zu beachten.
Wenn die Presse nun daraus macht, der Student sei belästigt worden, so verkennt das die Rechtslage und macht aus dem Täter ein Opfer.
Da sich der Vorfall am 13.11. ereignet haben soll, kann, stand heute, ein Bußgeldbescheid nur bestandskräftig geworden sein, wenn der betroffene Student auf Rechtsmittel nach Erhalt des Bußgeldbescheides verzichtete oder einen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen hätte. Nur dann könnte man den Studenten auch als „Täter“ bezeichnen. Von beidem ist aber nicht auszugehen. Soweit es also um seine Rechte geht, ist Boris Palmer umfassend informiert, soweit es um die von ihm zu beachtenden Pflichten geht, sieht es nicht ganz so gut aus.