§ 219a StGB – ein Minimum an Sachlichkeit

Wie bei allen Umwürfen lang gesellschaftlich ausgehandelter Kompromisse anhand eines Einzelfalles, sollte auch in der Diskussion um die „Abschaffung“ des § 219a StGB ein Minimum an Sachlichkeit gewahrt werden. Zur Sachlichkeit gehört wenigstens, den Stein des Anstoßes inhaltlich zu kennen, hier also die Urteile des Amtsgerichts Gießen (AG Gießen, Urteil vom 24. November 2017 – 507 Ds 501 Js 15031/15 –, juris)  und Landgerichts Gießen (LG Gießen, Urteil vom 12. Oktober 2018 – 3 Ns 406 Js 15031/15 –, juris). Bei der stellvertretenden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD kann man daran Zweifel haben:

In der derzeitigen Koalition ist eine Streichung der Paragrafen 218/219 nicht durchsetzbar. Eine Minimallösung muss aber festsetzen, dass Ärzte eben keine Werbung betreiben, sondern informieren. Diese Informationsangebote müssen legal sein, Ärzte dürfen nicht kriminalisiert werden.

Katharina Andres – WELT, 06.12.2018

Das Landgericht Gießen hat sich ausführlich mit der Abgrenzung von Information und Werbung auseinandergesetzt und betont, dass die bloße Information nicht strafbar ist:

Auch die aufklärende rein sachliche Information über die Gelegenheit eigener oder fremder Dienste, von Hilfsmittel oder Methoden Schwangerschaftsanbrüche durchzuführen, ist dann von der Strafdrohung erfasst, wenn das Anerbieten wie hier von einer geldwerten Gegenleistung abhängig gemacht ist (vergl. LG Bayreuth, Zfl 2007 Seite 16 ff.; Münchener Kommentar, StGB § 219 a RN 4, 6; Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 219a RN 2 4). Die in der Sache liegenden Ausnahmen für Informationen durch nicht selbst abtreibende Ärzte, anerkannte Beratungsstellen sowie unvermeidbaren Handelswege für Medizinprodukte und für wissenschaftliche Publikationen gemäß §§ 219a Abs. 2 und 3 StGB greifen im Falle der Angeklagten nicht ein.

LG Gießen, Urteil vom 12. Oktober 2018 – 3 Ns 406 Js 15031/15 –, juris

Ob Frau Andres nun diese Urteile tatsächlich kennt oder nicht kennt, weiß ich natürlich nicht. Ihre Forderung ergibt vor diesem Hintergrund aber wenig Sinn. Ich will auch dem Eindruck entgegenwirken, der durch Äußerungen der zitierten Art entsteht. In Erinnerung bleibt nämlich, dass nach derzeitiger Rechtslage schon die Information über Schwangerschaftsabbrüche strafbar wäre. Dafür wurde Frau Hänel aber nicht verurteilt. Jeder Versuch, das so darzustellen, ist unsachlich, weil etwas dargestellt wird, was so niemand gesagt oder getan hat.

Zum weiteren rechtlichen Hintergrund und der Berichterstattung über den Fall empfehle ich die Lektüre des Artikels von Thomas Fischer zu dem Thema.

2 Kommentare zu „§ 219a StGB – ein Minimum an Sachlichkeit

  1. Ohne das Urteil vollständig gelesen zu haben, erscheint es für mich dennoch, dass Ärze die Abtreibungen anbieten nicht darüber informieren können. Das unentgeltliche Anbieten einer medizinischen Leistung dürfte wahrscheinlich nicht möglich sein. Ist dies korrekt?

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