Rechtzeitig vor Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist hat das Oberlandesgericht München jetzt einen 3.025 Seiten umfassenden Schinken produziert. Das ist zumindest das längste Urteil, von dem ich je gehört habe. Der Bundesgerichtshof rügte damals relativ harsch die Kollegen vom Landgericht Köln für ein 1.300 Seiten umfassendes Urteil. Quasi Arbeitsverweigerung war demgegenüber das zweite Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, welches es auf „nur“ 308 Druckseiten brachte.
Kategorie: Allgemein
Haarige Angelegenheiten …
Die Frisöre öffnen wohl am 04.05.2020 wieder. Wir haben also noch 2 Wochen uns die natürliche Haarfarbe der Bevölkerung anzuschauen.
Ich sehe übrigens schon aus wie ein Hippie und dann ist heute auch noch der 20.04. …
Spammails
Weil wir gerade bei potentiellen Spamrisiken waren: Ich erhalte hier über die Seite auch Spammails. Dabei fällt mir auf, dass die Zahl neuer Spammails immer beträgt. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass gewisse Variablen in den Spamscripten bestimmte Größen erreichen können, die ein Vielfaches von 2 sind. So enthält ein 8 bit integer 256 Zustände () und kann damit die Zahlen von 0 – 255 abbilden.
Zur möglichen Wortherkunft von Spam (als unerwünschte Werbemail).
Die Bahn
Die Bahn erstattet aus Kulanz Bahncardkunden, die ihre Bahncard vor dem 13.03.2020 erworben oder verlängert haben, gerade 10 – 50 €. Hier kommt ihr zum Formular. Dabei wird man aufgefordert, ein CAPTCHA (klingt russisch, ist es aber nicht und auf keinen Fall zu verwechseln mit Chapka) zu lösen, dass oben im Bild abgebildet ist. Zuerst war es natürlich schön zu sehen, dass die Bahn den Unterschied zwischen Zahlen und Ziffern kennt. Dann habe ich mich gefragt, von wo aus man die fünfte Ziffer abzählen soll, von links oder von rechts und gleich danach kam mir der Gedanke, dass es bei 9 Ziffern egal ist. Und genau deswegen ist auch der Anpassungsaufwand für eine Software sehr gering, um diese Hürde zu nehmen. Vermutlich bezeichnet die Bahn deshalb das ganze nicht als CAPTCHA.
Vom Richter zum Staatsanwalt in Zeiten von Corona
Seit 01.04.2020 hat es mich nun zur Staatsanwaltschaft verschlagen (das wird als Zivilrechtler noch spannend); und „nebenher“ Corona. Gleichwohl verfolgen die Staatsanwaltschaften weiter Straftäter. Homeoffice bietet sich in der Anfangszeit nicht an und ein Fan davon bin ich ohnehin nicht. Ich bin effektiver, wenn ich nicht zu Hause arbeite. An Outdooroffice ist aber auch gerade noch nicht zu denken. Zumal die einschlägige Coronaverordnung das auch nicht zulässt.
Unser Oberbürgermeister wird sinngemäß mit den Worten zitiert (ich weiß nicht, ob er es wirklich auf einer Pressekonferenz gesagt hat): „Wer draußen auf einer Parkbank ein Buch lesen will, verstößt gegen die Verordnung.“ Damit wird er wohl auch Recht haben. § 18 der Dritten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (Dritte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 3. SARS-CoV-2-EindV) vom 02.04.2020 erlaubte das Verlassen der eigenen Wohnung nur zu sportlichen Zwecken und zur Bewegung an der frischen Luft. Daran hat sich mit der Vierten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (Vierte SARS-Co V-2-Eindämmungsverordnung – 4. SARS-CoV-2-EindV) vom 16. April 2020 nichts geändert (jetzt § 1).
Hamburgs regierender Oberbürgermeister hat eine passende Metapher gefunden: Es ist wie beim Luftanhalten. Die ersten 10 Sekunden sind leicht, die nächsten 10 Sekunden sind schon anstrengender und danach merkt man, dass es schwierig wird.
Witzig fand ich ja das Verbot von Großveranstaltungen bis 31. August und musste sofort an das Oktoberfest denken. Das können sie m.E. nicht stattfinden lassen, weswegen der 31. August wohl sehr optimistisch ist.
Claire Grube…
Gestern im Gespräch:
Man stelle sich vor, man heißt „Timo Beil“ und will sein Handy verkaufen.
Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verfassungswidrig
Zur heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgericht (lto.de Bericht hier) stellen sich mir (ohne, dass ich das Urteil jetzt schon gelesen habe) spontan ein paar Fragen:
- Wenn ich Medikamente, ohne dass es einer unheilbaren Krankheit oder sonst irgendwelcher materieller Kriterien bedarf, zur Selbsttötung erhalten darf, dürfte sich die werdende Mutter dann auch selbst töten?
- Wenn ich schon Medikamente zur Selbsttötung erhalten darf, darf ich sie auch für „weniger“ erhalten? Sagen wir beispielsweise, um mich hemmungslos zu berauschen? Kann die bisherige Rechtfertigung der Drogenverbote, man wolle die Verbreitung eindämmen und Dritte (also nicht den Kosumenten) schützen, so noch aufrechterhalten werden?
Juristensprache(5)
„Umfahren“ ist bekanntlich das Gegenteil von „umfahren“. „Übersehen“ ist ebenfalls das Gegenteil von „übersehen“. „Aufheben“ ist auch das Gegenteil von „aufheben“. Dazu gesellt sich, wie mir heute aufgefallen ist, „anhalten“, das wiederum das Gegenteil von „anhalten“ ist, was an folgendem zweideutigen Satz deutlich wird:
Die Gefahr hält an.
In der üblichen Bedeutung meint er, das die Gefahrenlage fortbesteht. Wenn ein Auto anhält, fährt es aber nicht weiter. Die Gefahr die anhält, könnte also auch aufhören.
Erledigung retten?
Folgender Fall: K verklagt B auf Zahlung von 10.000 €. Noch vor der mündlichen Verhandlung erklärt K schriftsätzlich den Rechtsstreit i.H.v. 1.000 € für erledigt. Richter P übersendet formlos den Schriftsatz zur Stellungnahme an den B. Drei Wochen später fällt P im Rahmen der Terminierung auf, dass sich B bisher nicht zur Erledigung erklärt hat. P überlegt, ob er die Folgen von § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO noch herbeiführen kann.
§ 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache
(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(2) …
§ 91a ZPO
§ 91a Abs. 1 S. 2 ZPO hat folglich folgende Voraussetzungen: 1. Erledigungserklärung des Klägers, 2. Widerspruch, 3. innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, 4. Zustellung des Schriftsatzes und 5. Hinweis auf die Folgen des Abs. 1.
In unserem Beispielsfall stellt sich somit die Frage, ob P den Erledigungsschriftsatz noch einmal an den B unter Beifügung des Hinweises nach § 91a Abs. 1 ZPO zustellen muss, oder ob er in der mündlichen Verhandlung den B nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO belehren kann, und dies nach Ablauf von zwei Wochen die Folgen des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO herbeiführt. Schließlich käme auch im Betracht einfach nur den Hinweis unter Verweis auf den schon bekannt gegebenen Schriftsatz zuzustellen. Der Beklagte wird in der mündlichen Verhandlung zwar regelmäßig einen Antrag auf Klageabweisung stellen und damit konkludent wohl auch der Erledigungserklärung des Klägers widersprechen, weil die übereinstimmende Erledigterklärung (abgesehen von dem Ausnahmefall der Gebührenziffer GKG KV 1211 Nr. 4) für den Beklagten keinerlei Vorteile bringt (er erhält keine rechtskraftfähige Entscheidung, ist nach herrschender Meinung einer möglichen erneuten Klage des Klägers ausgesetzt, ist auf billiges Ermessen bei der Kostenentscheidung verwiesen und erspart regelmäßig keine Gerichtskosten, wie GKG KV 1211 Nr. 4 zeigt). Es ist aber durchaus denkbar, dass der Beklagte sich zur Erledigungserklärung des Klägers nicht erklären möchte. Dem kann man auch nicht entgegenhalten, dass sich der Beklagte eben in der mündlichen Verhandlung wird entscheiden müssen. Grundsätzlich steht es nämlich den Parteien frei bis zum rechtskräftigen Abschluss eine Erledigungserklärung abzugeben (BeckOK ZPO/Jaspersen ZPO § 91a Rn. 22-23.1.).
Lässt man also grundsätzlich zu, dass auch in der und nach der mündlichen Verhandlung ein Schwebezustand hinsichtlich einer Erledigungserklärung des Klägers eintreten kann, stellt sich die Frage, ob die Belehrung nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO nachgeholt werden kann. Nähme man an, dass P in unserem oberen Beispielsfall einen entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung gibt und diesen protokolliert, stehen prinzipiell zwei Zeitpunkte für den Fristbeginn zur Verfügung. Zum einen könnte die Zweiwochenfrist bereits mit Abgabe des Hinweises beginnen zu laufen. Dies dürfte aber mit dem Wortlaut von § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO nicht zu vereinbaren sein, da dieser die Zustellung eines Schriftsatzes fordert. Der mündliche Hinweis ist aber nicht die Zustellung eines Schriftsatzes. Als nächstes könnte man an den Zeitpunkt denken, an dem das Protokoll dem Beklagten zugestellt (um die Folgen des § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO herbeizuführen) wurde. Dann müsste aber das Protokoll einen Schriftsatz darstellen. Dies dürfte aber ebenfalls mit der ZPO nicht zu vereinbaren sein. § 496 ZPO unterscheidet beispielsweise deutlich zwischen Schriftsätzen und Erklärungen zu Protokoll. Noch deutlicher drückt die Unterscheidung zwischen Schriftsatz und Erklärungen zu Protokoll § 129 Abs. 2 ZPO aus. Das Protokoll müsste darüber hinaus ohnehin erneut die Erledigungserklärung des Klägers enthalten, da § 91 Abs. 1 S. 2 von einer Zustellung des Schriftsatzes, der die Erledigungserklärung des Klägers enthält, spricht.
Man wird sich hier also Gedanken um eine analoge Anwendung von § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO machen müssen, für die einiges sprechen dürfte. Verlangen wird man aber in jedem Fall müssen, dass dem Beklagten das Protokoll mit dem Hinweis zugestellt wird. Nur so hat er über die gesamten zwei Wochen den verschriftlichten Hinweis auf die Folgen seines Schweigens vor Augen.
Zwangshaft ohne Rechtsgrundlage(2)
Über Christian Raths Beitrag auf taz.de bin ich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart gestoßen in der gegen das Land Baden-Württemberg ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 € zugunsten der Deutschen Kinderkrebsstiftung verhangen wurde. Bemerkenswert an der Entscheidung ist, dass das Gericht nunmehr nach Vorschriften der Zivilprozessordnung vollstreckt. § 172 VwGO ließe nämlich kein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 €, sondern max. in Höhe von 10.000 € zu.
Interessant ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.08.1999 (Az. 1 BvR 2245/98) auf die das Verwaltungsgericht Stuttgart Bezug nimmt, die ich vorher auch noch nicht kannte. Darin heißt es:
Insofern läßt zwar der Wortlaut des § 167 VwGO die Auslegung zu, daß bei der Vollstreckung einstweiliger Anordnungen ausschließlich die ein- oder mehrmalige Verhängung eines auf 2.000 DM begrenzten Zwangsgeldes gemäß § 172 VwGO möglich ist. Diese Auslegung ist aber keineswegs zwingend. Vielmehr kann § 172 VwGO auch als verwaltungsprozessuale Modifizierung der ansonsten geltenden zivilprozessualen Zwangsgeldbestimmungen verstanden und der Zweck der Begrenzung des Zwangsgeldbetrages auf 2.000 DM darin gesehen werden, daß staatliche Haushaltsmittel nicht in größerem Umfang durch Vollstreckungsmaßnahmen ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen werden. In diesem Fall steht die Begrenzung des Zwangsgeldes durch § 172 VwGO dem Einsatz anderer nach § 167 VwGO in Verbindung mit der Zivilprozeßordnung möglicher Zwangsmittel nicht entgegen.
Eine solche Auslegung ist im Hinblick auf das Gebot wirkungsvollen Rechtsschutzes jedenfalls dann geboten, wenn die Androhung und Festsetzung eines auf 2.000 DM beschränkten Zwangsgeldes zum Schutz der Rechte des Betroffenen ungeeignet ist. Ist etwa aufgrund vorangegangener Erfahrungen, aufgrund eindeutiger Bekundungen oder aufgrund mehrfacher erfolgloser Zwangsgeldandrohungen klar erkennbar, daß die Behörde unter dem Druck des Zwangsgeldes nicht einlenkt, dann gebietet es das Gebot effektiven Rechtsschutzes, von der nach § 167 VwGO möglichen „entsprechenden“ Anwendung zivilprozessualer Vorschriften Gebrauch zu machen und einschneidendere Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, um die Behörde zu rechtmäßigem Handeln anzuhalten (vgl. Bettermann, DVBl 1969, S. 120 <121>; Maunz, BayVBl 1971, S. 399 <400>). Welche der in den §§ 885 bis 896 ZPO geregelten, einschneidenderen Zwangsmittel (Ersetzung der behördlichen Zustimmung zur Saalvermietung, Besitzeinweisung durch den Gerichtsvollzieher etc.) in welcher Reihenfolge und in welcher Form bei der Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Eilentscheidungen erforderlichenfalls zum Einsatz kommen, obliegt vorrangig der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung und bedarf in diesem Zusammenhang keiner Vertiefung.
BVerfG, Kammerbeschluss vom 09. August 1999 – 1 BvR 2245/98 –, juris
Im Vergleich zur Auslegung, die hier vertreten habe, bezieht sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sogar auf Maßnahmen nach § 123 VwGO, die von § 172 VwGO direkt erfasst sind. Wenn aber schon bei § 172 VwGO im Ernstfall auch zur Vollstreckung nach der Zivilprozessordnung gegriffen werden kann, hätte es meines Erachtens für das Verwaltungsgericht Stuttgart eines Rückgriffs auf § 172 VwGO überhaupt nicht bedurft. Ob der erste grüne Ministerpräsidenten auch der erste Ministerpräsident in Haft sein wird, bleibt abzuwarten. Angesichts der Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht für vorrangig hält, dürfte das aber nicht zu erwarten sein.