Beschleunigtes Verfahren
Das Beschleunigte Verfahren ist gerade aufgrund der Situationen in deutschen Freibädern (oder nur der Freibäder in Berlin? So genau beobachte ich das nicht, meine aber nur von Berlin zu lesen) in aller Munde. Carsten Linnemann forderte daher in der Bild am Sonntag:
Die Durchsetzung unserer Gesetze. Ganz einfach! Es braucht Schnellverfahren gegen Gewalttäter, das Justizsystem muss entsprechend organisiert werden. Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. Auch am Wochenende. Die Strafprozessordnung gibt das her. Auch das Strafmaß muss voll ausgeschöpft werden, bis hin zu Haftstrafen.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: Schnellverfahren gegen Freibad-Schläger! | Politik | – 17.07.2023 BILD.de
Wenn ich irgendjemanden sagen höre: „Ganz einfach!“, dann will ich mittlerweile aus Reflex antworten:
For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, die sich so zusammenfassen lassen:
Der Vorschlag des neuen CDU-Generalsekretärs ist Populismus pur, verkennt rechtsstaatliche Grundsätze und die Realität in der Justiz
ntv.de 17.07.2023 Sonja Eichwede – rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
Nach ihr, so verrät der ntv.de Artikel weiter, schrecke Strafe allein nicht ab und das sei im ersten Semester Kriminologie schon dran. Strafe (allein) schreckt nicht ab, das verdient uneingeschränkte Zustimmung und kann nicht oft genug wiederholt werden. Es ist einer dieser kontraintuitiven Fakten des Lebens, den man einfach schlucken muss. Wer sagt: „X müsse härter bestraft werden, damit das endlich aufhört!“, hat wiederum reflexartig verdient: For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong. Wer sich gegen diesen Fakt stellt und ihn einfach nicht glauben will, setzt sich m.E. dem Verdacht aus, dass es ihm nicht darum geht, das gesellschaftsschädliche Verhalten abzustellen, sondern irgendjemanden halt einfach bestrafen zu wollen. das kann man m.E. auch so sehen, man sollte dann aber nicht so tun, als würde das an den Straftaten irgendetwas ändern; harte Strafen/Straftaten verhindern sind einfach zwei verschiedene kaum verknüpfte Dinge.
Zurück zu Frau Eichwede: was sie mit dem ersten Semester Kriminologie meint, weiß ich nicht ganz. An den mir bekannten Unis ist das ein Schwerpunktbereich, der später im Studium kommt. Das spielt aber auch keine Rolle. Den Fakt kriegt man eigentlich auch in jeder guten 1. Semester Strafrechtsvorlesung mitgeteilt.
Im Weiteren geht Frau Eichwede noch auf das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff StPO ein. Danach stellt die Staatsanwaltschaft im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht schriftlich oder mündlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Das ergibt nur in den Fällen geständiger Täter Sinn, oder wenn es irgendwie 5 Belastungszeugen gibt und die Polizei den Beschuldigten und die Zeugen gleich mitbringt. In allen andern Fällen gilt es erstmal zu ermitteln.
Unabhängig davon irren alle. Die Strafjustiz kann Schnellverfahren und macht das für meinen Geschmack auch zu viel.
Ich habe leider auf die Schnelle keine genauen Zahlen gefunden, aber die Justiz erledigt einen guten Teil der Strafverfahren durch das sogenannte Strafbefehlsverfahren, §§ 407 ff StPO. Ich spare mir die langweiligen Juradetails, aber im Strafbefehlsverfahren gibt es faktisch nen gelben Brief (als wäre man zu schnell gefahren), dann gibt es zwei Wochen Einspruchsfrist und danach ist man rechtskräftig verurteilt, mit Eintrag im „Führungszeugnis“ (richtig Bundeszentralregister). Keine Hauptverhandlung, kein nerviger Staatsanwalt, kein blöd rumfragender Richter, keine Öffentlichkeit. Wir schicken Leuten Briefe und verurteilen sie auf diesem Wege wegen Delikten, die in einer nicht unerheblichen Zahl bestimmter Delikte dadurch begangen werden, dass die Leute Briefe nicht lesen (Fahren trotz Fahrverbot, ALG II Betrug, jetzt Bürgergeldbetrug(?)).
Sollte sich der Beschuldigte doch mit einem Einspruch wehren, gelten übrigens für dann anzuberaumende Hauptverhandlungen die Regelungen über das beschleunigte Verfahren (§§ 411 Abs. 2 S. 2, 420 StPO), was gelegentlich übersehen wird. Herrn Linnemanns Forderungen kann man also auch heute schon sehr sehr sehr zügig umsetzen.
Naja, die Justiz ist aber eigentlich immer lachhaft langsam. Mein aktueller Fall: Anzeige irgendwann April 2020, Abschluss der Ermittlungen irgendwann nach 1,5 Jahren Ende 2021 mit Abgabe StA, Antrag Erlass Strafbefehl (25 TS), dieser erlassen 1 Jahr später Ende 2022, direkt Widerspruch eingelegt, bis heute nichts passiert, nichtmal ein Termin.
Obendrauf kommt natürlich dass die Handlung die der Polizei/Justiz da nicht gefallen hat, überhaupt nicht strafbar ist, aber wen wundert das.
Bei solchem Vorgehen braucht sich niemand aus dem System beschweren, dass keiner mehr darauf vertrauen möchte. Über 3 Jahre und noch nichtmal ein Verhandlungstermin.