Ein Minimum an Sachlichkeit(2)

Annette Ramelsberger berichtet in der Süddeutschen Zeitung über das Versagen der ostdeutschen Justiz unter dem Titel Ganz normale Neonazis.
Als Aufhänger wählte sie den anstehenden Prozess über Carsten M., der zusammen mit seiner Freundin Martina H. am 1. Mai 2017 am Rande der Demonstration in Halle mit einem Auto Jagd auf Menschen gemacht und sie mit Steinen beworfen haben soll. Dieser Fall sei von der zuständigen Staatsanwältin zunächst beim Amtsgericht angeklagt gewesen, das Landgericht habe aber „übernommen“. Wer lesen will, wie Journalismus nicht funktionieren sollte, findet hier ein Beispiel.

Doch der Prozess zeigt auch, wie oft und wie ausgiebig die Justiz vor allem in den ostdeutschen Ländern rechte Gewalt verharmlost und übersieht.

Annette Ramelsberger – sueddeutsche.de vom 09.01.2019

„vor allem“ – Der Artikel zählt lediglich „Vorfälle“ aus Rostock und Halle auf, die aber auch die Staatsanwaltschaften in Leipzig, Görlitz, Dresden, Chemnitz, Zwickau, Dessau-Roßlau, Naumburg (Saale), Magdeburg, Halberstadt, Stendal, Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder), Eberswalde, Neuruppin, Meiningen, Erfurt, Mühlhausen, Jena, Gera, Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund also in den „ostdeutschen Ländern“ der Blindheit nach Rechts überführen sollen. Ferner wird ein Fall vom Amtsgericht Merseburg geschildert, der pars pro toto für die Gerichte in den „ostdeutschen Bundesländern“ stehen soll.

Ich merke an der Stelle zunächst lediglich zwei Dinge an: Zum einen ist die Staatsanwaltschaft in den „ostdeutschen Ländern“ genau wie die Staatsanwaltschaft in den „westdeutschen Ländern“ an Recht und Gesetz – womit das Recht und das Gesetz der Bundesrepublik gemeint ist – gebunden und zum anderen bestehen die Staatsanwaltschaften in den „ostdeutschen Ländern “ noch immer zu einem ganz beträchtlichen Teil aus Juristen aus den „westdeutschen Ländern“, die nach der Wende in die ehemalige DDR kamen, um ein Justizsystem aufzubauen. Das wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre ändern, wobei das ein m.E. irrelevanter Fakt ist. Die Mauer im Kopf von Frau Ramelsberger ergibt vor diesem Hintergrund kaum Sinn.

Zur Sachlichkeit: Wo die Staatsanwaltschaften Straftaten anzuklagen haben ergibt sich aus dem Gesetz, §§ 24, 74 GVG. Dabei sind Straftaten beim Landgericht anzuklagen, wenn die zu erwartende Strafe 4 Jahre übersteigt. Bis dahin wird also grundsätzlich beim Amtsgericht angeklagt. Daneben gibt es Spezialzuständigkeiten des Landgerichts für bestimmte Delikte, maßgeblich all solche, bei denen jemand ums Leben gekommen ist, § 74 Abs. 2 GVG.

Ferner gibt es in den §§ 74a – 74c GVG noch zahlreiche weitere Fälle, in denen das Landgericht erstinstanzlich zuständig ist. Das sind aber alles Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft gar keinen Spielraum hinsichtlich der Gerichtswahl hat. Dieser kommt ihr allenfalls bei § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG zu. Danach kann die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erheben. Die korrespondierende Vorschrift für die Landgerichte findet sich in § 74 Abs. 1 S. 2 GVG.

Bei dieser Vorschrift sollten alle im Blick haben, dass das Grundgesetz vom gesetzlichen Richter ausgeht, Art 101 Abs. 1 S. 2 GG. Das Gegenteil von gesetzlicher Bestimmung des zuständigen Richters ist die staatsanwaltschaftliche Bestimmung des zuständigen Richters. Das Grundgesetz will gerade verhindern, dass die Exekutive darüber entscheidet, vor welches Gericht jemand gebracht wird. Richtigerweise ist die Vorschrift, so man sie überhaupt für verfassungskonform hält (SK-StPO/Degener Rn. 32; Herzog StV 1993, STV Jahr 1993 Seite 609 (STV Jahr 1993 611); Glaser, Aktuelle Probleme iRd sachlichen Zuständigkeit der Strafgerichte, 2001, 22 ff.; Oehler ZStW 64/1952, 292 (305); Roth, Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter 2000, 111; Eb. Schmidt MDR 1958, MDR Jahr 1958 Seite 721 (MDR Jahr 1958 725); Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, 585 ff.), eng auszulegen und der vollen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen

Es ist also keineswegs so, als könnten die Staatsanwaltschaften, so wie es der Artikel impliziert, nach Gusto entscheiden, wo Straftaten anzuklagen wären. Das Gegenteil ist gerade der Fall. Und worin genau das „Versagen“ liegen soll, erschließt sich aus dem Artikel ebenfalls nicht. Dazu hätte wenigstens gehört einen Maßstab zu benennen , wann die Justiz also nicht versagt hätte; was zu tun gewesen wäre. All das bleibt im Dunkeln. Im Mindesten hätte man einmal die Parallelen zu vergleichbaren Fällen in den „westdeutschen Bundesländern“ ziehen können, um zu zeigen, dass dort anders mit rechten Straftaten umgegangen wird. Alles was der Artikel erreichen dürfte, ist eine weitere Spaltung der Gesellschaft in Ost und West.

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