Versäumnisurteile im schriftlichen Vorverfahren

Nach AG Sondershausen, Urt. v. 30.3.2017 – 4 C 11/17, soll der Beklagte zu diesem Termin analog § 336 Abs. 1 S. 2 nicht zu laden sein. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass dem Kläger, nach erfolgreicher Beschwerde gegen die auf fehlerhaft angenommener fehlender Säumnis des Beklagten beruhende Zurückweisung seines Antrags auf Erlass des Versäumnisurteils die Säumnissituation erhalten bleiben soll, er also eine „zweite Chance“ auf das ihm zu Unrecht verwehrte Versäumnisurteil erhält (→ § 336 Rn. 13.1). Ob dieser Gedanke ohne weiteres auf den Fall des auf § 331 Abs. 3 S. 3 gestützten Nichterlasses eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren übertragbar ist, erscheint indessen zweifelhaft. Denn hier beruht der Nichterlass des Versäumnisurteils nicht auf einem Rechtsanwendungsfehler des Gerichts, sondern auf der (teilweisen) Unschlüssigkeit der Klage. Dem AG Sondershausen ist zwar zuzugeben, dass die zu Unrecht erfolgte Annahme mangelnder Schlüssigkeit ein gerichtlicher Rechtsanwendungsfehler wäre. Die Frage der Schlüssigkeit aber, wie in dem die Frage der Säumnis betreffenden Beschwerdeverfahren nach § 336 Abs. 1 S. 1 (→ § 336 Rn. 10), ohne Beteiligung des Beklagten zu erörtern, erscheint nicht interessengerecht, denn der Beklagte könnte ja allein deshalb von der Anzeige seiner Verteidigungsbereitschaft abgesehen haben, weil er die Klage ebenfalls für (teilweise) unschlüssig hielt und deshalb nicht mit dem Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren rechnen konnte. Unabhängig hiervon muss auch Bedenken begegnen, das von Verfassungs wegen garantierte Recht des Beklagten, in einer mündlichen Verhandlung gehört zu werden (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, allein auf der Grundlage einer Analogie zu beschneiden. Dem unabweislichen Interesse des Klägers, bereits im schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil zu erhalten, kann ggf. durch schriftliche Hinweise des Gerichts und die Ermöglichung einer schriftsätzlichen „Nachbesserung“ des Klagevortrags entsprochen werden.

BeckOK ZPO/Toussaint, 32. Ed. 1.3.2019, ZPO § 331 Rn. 23.1

Das Urteil (AG Sondershausen, Urt. v. 30.3.2017 – 4 C 11/17) ist von mir und die Argumente in der Kommentierung nicht überzeugend, da das Recht auf rechtliches Gehör nicht verletzt wird.

Die Ausgangslage ist relativ simpel:

Der Kläger erhebt eine Klage, die das Gericht für (teil-)unschlüssig hält. Der Standardfall, in dem ich das hatte, war der begehrte Zugang zum Stromzähler eines Kunden, der seine Rechnungen nicht bezahlte. Der Anspruch ergibt sich aus § 21 NAV (Dort ist nur ein Zutrittsrecht zum Stromzähler geregelt. Die Kläger haben meistens aber beantragt „Zutritt zum Stromzähler und zur Wohnung …“. Auf letzteres besteht m.E. kein Anspruch.). Wenn das Gericht nun das schriftliche Vorverfahren anordnet, § 276 ZPO, kann ein Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 3 ZPO bei fehlender Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nicht ergehen, weil dies die Schlüssigkeit der Klage voraussetzt. Das Gericht muss mündlich verhandeln, § 331 Abs. 3 S. 3 ZPO.

M.E. ist zu dieser mündlichen Verhandlung der Beklagte nicht zu laden. Die Situation ähnelt der, die § 336 Abs. 1 ZPO regelt.


§ 336 Rechtsmittel bei Zurückweisung
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückgewiesen wird, findet sofortige Beschwerde statt. Wird der Beschluss aufgehoben, so ist die nicht erschienene Partei zu dem neuen Termin nicht zu laden.
(2) Die Ablehnung eines Antrages auf Entscheidung nach Lage der Akten ist unanfechtbar.

Die Norm hat den Fall vor Augen, in welchem der Beklagte (oder der Kläger) im Termin nicht erscheint und das Gericht zu Unrecht kein Versäumnisurteil erlässt. Die sofortige Beschwerde wird dann im normalen Gerichtsbetrieb von der nächsten Instanz geprüft, also möglicherweise mehrere Wochen nach dem Termin. Stellt die nächste Instanz fest, dass das Gericht ein Versäumnisurteil hätte erlassen müssen, erlässt nicht etwa die nächste Instanz das Versäumnisurteil gleich selbst, sondern das Ausgangsgericht muss neu terminieren und den Beklagten/Kläger zu dieser Verhandlung nicht laden (kommt derjenige dennoch, weil er irgendwie von dem Termin erfahren hat, kann kein Versäumnisurteil ergehen). Es muss also die Säumnissituation erneut herstellen.

Im schriftlichen Vorverfahren stellt sich diese Lage ganz ähnlich: das Gericht kann mit seiner Ansicht, die Klage sei unschlüssig, auch falsch liegen. Wenn sich das erst in der mündlichen Verhandlung herausstellt, hat es dem Kläger mit der Ladung des Beklagten -wenn dieser daraufhin erscheint – rechtsfehlerhaft die Säumnissituation genommen.

Der Beklagte ist daher bei angenommener Unschlüssigkeit und Säumnis im schriftlichen Vorverfahren analog § 336 Abs. 1 S. 2 ZPO nie zu laden.

Auch aus Sicht des Beklagten ist das der richtige Weg, was Toussaint in der Kommentierung übersieht. Es sind letztlich nur folgende Situationen für die mündliche Verhandlung ohne Beklagten denkbar:

  1. Der Kläger überzeugt in der mündlichen Verhandlung das Gericht von einem Rechtsanwendungsfehler.
    Das Gericht erlässt dann Versäumnisurteil, weil es das schon vorher hätte tun müssen. In diesem Fall steht der Beklagte nicht besser oder schlechter, als er ohnehin stünde. Gegen ihn ergeht Versäumnisurteil, wie es auch vorher gegen ihn hätte ergehen müssen. Hätte das Gericht den Beklagten geladen und hätte dieser prozesstaktisch ohnehin nur die Flucht in die Säumnis antreten können, hätte er auch noch Aufwendungen für die Anreise zu Gericht tragen müssen. Der Beklagte steht in diesem Fall also entweder nicht schlechter oder sogar besser, als wenn er zum Termin geladen wäre
  2. Der Kläger dringt mit seiner Argumentation weder rechtlich noch tatsächlich durch. Das Gericht weist die Klage durch unechtes Versäumnisurteil (Endurteil) ab. Der Beklagte steht hier besser da, als mit Ladung zum Termin, da er sich Fahrtkosten sparen konnte.
  3. Der Kläger bessert den Sachvortrag (also nicht nur die Rechtsausführungen) nach, die Klage ist nicht mehr unschlüssig. (Diesen Fall greift Toussaint in der Kommentierung auf). In diesem Fall kann das Gericht aber mangels Gewährung rechtlichen Gehörs keine Versäumnisentscheidung treffen. Es ist vielmehr ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, zu dem der Beklagte zu laden ist. Diesen Fall regelt das Gesetz ausdrücklich in § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Der Kläger ist hier „selbst schuld“ daran, dass die Säumnissituation entfällt.

Der Beklagte, der die Klage bekommt und die Unschlüssigkeit sieht und deshalb nicht zu Gericht geht, weil er davon ausgeht, dass auch das Gericht diesen Fall erkennen wird, genießt mithin denselben Schutz, wie der Beklagte, der nicht zum Termin geladen wird. Hat er mit seiner Ansicht Recht, dass die Klage unschlüssig ist, wird sie entweder durch unechtes Versäumnisurteil abgewiesen (er spart Fahrtkosten) oder er bekommt einen geänderten Sachvortrag mit einer neuen Terminsladung zugestellt und kann erneut die Schlüssigkeit prüfen. Letztlich droht ihm, sollte seine Rechtsauffassung nicht zutreffen, ein Versäumnisurteil wie zuvor auch. Es ergeht in keinem Fall eine Entscheidung auf Grundlage eines dem Beklagten unbekannten Sachverhaltes. Das Risiko der falschen rechtlichen Würdigung, trägt aber jeder Beklagte, der keine Verteidigungsanzeige abgibt.

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