Zwangshaft ohne Rechtsgrundlage?

Dieselfahrverbote beschäftigen bald wieder den EuGH. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 20. November 2018, Az.: 22 C 18.1718 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob in der Zwangsvollstreckung zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen gegen Amtsträger auch Zwangshaft unionsrechtlich geboten bzw. möglich ist.

Sachverhalt

Ausgangspunkt ist der Streit der Deutschen Umwelthilfe mit dem Freistaat Bayern um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in München. Das Verwaltungsgericht München hat bereits 2012 rechtskräftig die Stadt München zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans verurteilt. Festgesetzte Zwangsgelder führten nicht zur Umsetzung des Urteils. Auf die Folgen, auch im Zusammenhang mit Dieselfahrverboten, habe ich bereits hier hingewiesen.

Nun soll also die Zwangshaft das Problem lösen. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich auf ein Urteil des EuGH vom 19. November 2014 (Az. C-404/13), wonach die Gerichte verpflichtet sind, gegenüber den nationalen Behörden „jede erforderliche Maßnahme zu erlassen“, um die Einhaltung der europäischen Luftreinhalterichtlinie (Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008) sicherzustellen.

Rechtlicher Hintergrund

Hierzu sollte man wissen, dass die Vollstreckung von Urteilen gegen „den Staat“ in der VwGO dem Wortlaut nach unterschiedlich ausgestaltet ist. Zentrale Vorschrift ist § 172 VwGO:

Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.

§ 172 VwGO

Erfasst sind damit folgende Fälle:

  • § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO – die Vollzugsfolgenbeseitigung; typischer Fall: Die Polizei stellt einen Gegenstand sicher; beispielsweise ein vermeintlich nicht StVO und StVZO konformes Fahrrad. Die Sicherstellung ist ein Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Gewinnt der Kläger das Verfahren, ist zwar die Sicherstellung durch das Gericht aufgehoben worden, er hat aber das Fahrrad immer noch nicht zurück. Die Herausgabe kann der Kläger mittels eines weiteren Antrages über § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO erreichen. Gibt die Polizei das Fahrrad dann nicht heraus, stehen als Vollstreckungsmöglichkeiten nur Zwangsgelder zur Verfügung
  • § 113 Abs. 5 VwGO – die Verpflichtungsklage; typischer Fall: Man verlangt von der Behörde den Erlass eines Förderbescheides oder den Erlass einer Baugenehmigung. Wird die Behörde durch Urteil dazu verpflichtet den Verwaltungsakt zu erlassen und weigert sich dann, stehen für die Vollstreckung wiederum nur Zwangsgelder zur Verfügung. Das Gericht kann übrigens den begehrten Verwaltungsakt aufgrund der Gewaltenteilung nicht selbst erlassen.
  • § 123 VwGO – einstweilige Verfügungen – Die typischen Fallgestaltungen ähneln den oben beschriebenen Situationen, nur dass sie auch noch besonders eilig sind.

Wortlaut des § 172 VwGO erfasst Klagen auf Fortschreibung der Luftreinhaltepläne nicht

Bei den Klagen zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne handelt es sich nun um allgemeine Leistungsklagen, weil die jeweilige Stadt zu einem Handeln gezwungen werden soll. Es soll kein Verwaltungsakt erlassen werden und das Gericht stellt auch nicht einfach nur ein Rechtsverhältnis fest. Auf diese allgemeinen Leistungsklagen wäre § 172 VwGO dem Wortlaut nach gar nicht anwendbar, weshalb über die Verweisung des § 167 Abs. 1 VwGO die Vorschriften der ZPO gelten würden. Nach § 888 ZPO wäre Zwangshaft möglich.

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung wendet den § 172 VwGO jedoch auch auf allgemeine Leistungsklagen mit dem Argument an, dass ja auch § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO ein Fall der Leistungsklage ist. Es ist daher nicht einzusehen, warum eine Leistungsklage, der ein Verwaltungsakt vorausgegangen ist, anders zu behandeln sei, als eine reine Leistungsklage. Ein Verweis in § 172 VwGO auf die allgemeine Leistungsklage fehle auch nur deshalb, weil in der VwGO eine allgemeine Leistungsklage nicht ausdrücklich geregelt sei (instruktiv auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27. Februar 2017 – 22 C 16.1427 –, juris).

Mögliche Folgen der Entscheidung des EuGH

Sollte der EuGH also die Anordnung von Zwangshaft für notwendig erachten, wird der § 172 VwGO wohl wieder auf seinen Wortlaut zu reduzieren sein, um eine Rechtsgrundlage über den Verweis in die ZPO zu schaffen. Ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage, oder nur gestützt auf ein Urteil des EuGH, wird man jedenfalls einen Menschen nicht ins Gefängnis stecken können, Art 104 Abs. 1 GG. Dabei gilt es auch zu beachten, dass generalklauselartige Formulierungen gerade nicht ausreichen. Die in der Vorlagefrage angesprochenen  „Maßnahmen“ genügen dem nicht.

Ein Kommentar zu „Zwangshaft ohne Rechtsgrundlage?

  1. Wäre es nicht sinnvoller und im Verhältnis zum ggf. einzusperrenden Amtsträger nicht auch verhältnismäßiger, man leitete aus der Anwendung des § 888 ZPO und/oder Unionsrecht zunächst die (ggf. wiederholte) Festsetzung von Zwangsgeld (ggf. von bis zu 25.000 €) an die EU her. Denn Ausgangspunkt der Vorlage ist doch die Vollstreckung zwecks Umsetzung des Unionsrechts. Läge es da nicht nahe, dass die EU das Zwangsgeld bekommt (analog den Zahlungen als Folge eines Vertragsverletzungsverfahren).

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