Zwangshaft ohne Rechtsgrundlage(2)

Über Christian Raths Beitrag auf taz.de bin ich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart gestoßen in der gegen das Land Baden-Württemberg ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 € zugunsten der Deutschen Kinderkrebsstiftung verhangen wurde. Bemerkenswert an der Entscheidung ist, dass das Gericht nunmehr nach Vorschriften der Zivilprozessordnung vollstreckt. § 172 VwGO ließe nämlich kein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 €, sondern max. in Höhe von 10.000 € zu.

Interessant ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.08.1999 (Az. 1 BvR 2245/98) auf die das Verwaltungsgericht Stuttgart Bezug nimmt, die ich vorher auch noch nicht kannte. Darin heißt es:

Insofern läßt zwar der Wortlaut des § 167 VwGO die Auslegung zu, daß bei der Vollstreckung einstweiliger Anordnungen ausschließlich die ein- oder mehrmalige Verhängung eines auf 2.000 DM begrenzten Zwangsgeldes gemäß § 172 VwGO möglich ist. Diese Auslegung ist aber keineswegs zwingend. Vielmehr kann § 172 VwGO auch als verwaltungsprozessuale Modifizierung der ansonsten geltenden zivilprozessualen Zwangsgeldbestimmungen verstanden und der Zweck der Begrenzung des Zwangsgeldbetrages auf 2.000 DM darin gesehen werden, daß staatliche Haushaltsmittel nicht in größerem Umfang durch Vollstreckungsmaßnahmen ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen werden. In diesem Fall steht die Begrenzung des Zwangsgeldes durch § 172 VwGO dem Einsatz anderer nach § 167 VwGO in Verbindung mit der Zivilprozeßordnung möglicher Zwangsmittel nicht entgegen.

Eine solche Auslegung ist im Hinblick auf das Gebot wirkungsvollen Rechtsschutzes jedenfalls dann geboten, wenn die Androhung und Festsetzung eines auf 2.000 DM beschränkten Zwangsgeldes zum Schutz der Rechte des Betroffenen ungeeignet ist. Ist etwa aufgrund vorangegangener Erfahrungen, aufgrund eindeutiger Bekundungen oder aufgrund mehrfacher erfolgloser Zwangsgeldandrohungen klar erkennbar, daß die Behörde unter dem Druck des Zwangsgeldes nicht einlenkt, dann gebietet es das Gebot effektiven Rechtsschutzes, von der nach § 167 VwGO möglichen „entsprechenden“ Anwendung zivilprozessualer Vorschriften Gebrauch zu machen und einschneidendere Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, um die Behörde zu rechtmäßigem Handeln anzuhalten (vgl. Bettermann, DVBl 1969, S. 120 <121>; Maunz, BayVBl 1971, S. 399 <400>). Welche der in den §§ 885 bis 896 ZPO geregelten, einschneidenderen Zwangsmittel (Ersetzung der behördlichen Zustimmung zur Saalvermietung, Besitzeinweisung durch den Gerichtsvollzieher etc.) in welcher Reihenfolge und in welcher Form bei der Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Eilentscheidungen erforderlichenfalls zum Einsatz kommen, obliegt vorrangig der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung und bedarf in diesem Zusammenhang keiner Vertiefung.

BVerfG, Kammerbeschluss vom 09. August 1999 – 1 BvR 2245/98 –, juris

Im Vergleich zur Auslegung, die hier vertreten habe, bezieht sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sogar auf Maßnahmen nach § 123 VwGO, die von § 172 VwGO direkt erfasst sind. Wenn aber schon bei § 172 VwGO im Ernstfall auch zur Vollstreckung nach der Zivilprozessordnung gegriffen werden kann, hätte es meines Erachtens für das Verwaltungsgericht Stuttgart eines Rückgriffs auf § 172 VwGO überhaupt nicht bedurft. Ob der erste grüne Ministerpräsidenten auch der erste Ministerpräsident in Haft sein wird, bleibt abzuwarten. Angesichts der Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht für vorrangig hält, dürfte das aber nicht zu erwarten sein.

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