Verkehrsunfallprozess light

Problemstellung

Der Kollege Windau hat auf eine Entscheidung des OLG Köln vom 25.07.2019 und vom 03.09.2019, 20 U 75/18 hingewiesen, wonach ein Beweissicherungsverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO nicht mit der Begründung zulässig ist, weil eine Erinnerung des Zeugen zu verblassen droht. Für die näheren rechtlichen Darstellungen verweise ich gerne auf den Blog des Kollegen, den man hier findet.

Ich teile die Einschätzung, dass bei lange zurückliegenden Vorgängen faktisch ein Beweismittelverbot droht, wenn sich der Zeuge dann nicht mehr an die maßgeblichen Umstände in einer für die Überzeugung des Gerichts notwendigen Art und Weise erinnern kann.

Nicht ganz sicher bin ich mir jedoch bei folgendem Punkt:

Nicht nur Geschädigte, sondern auch Versicherer könnten in geeigneten Fällen schon kurz nach dem Unfall ein selbständiges Beweisverfahren einleiten und damit auf einer deutlich objektiveren Grundlage regulieren, als lediglich auf Grundlage der Schilderung ihres Versicherungsnehmers. Damit wäre dann nicht nur ein Gewinn an „Gerechtigkeit“ i.S. einer richtigeren Regulierungsgrundlage verbunden, sondern auch ein Kostenvorteil. Denn bei einem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (relativ) eindeutigem Unfallhergang wird es zu einem späteren Prozess häufig nicht kommen, so dass dadurch zwei Gerichtsgebühren entfielen, u.U. auch Anwaltsgebühren …

Benedikt Windau – zpoblog.de

Der zeitliche Aspekt

Diese Hoffnungen hegt man auch bei den Beweissicherungsverfahren in Bausachen. Mich würde aber einmal interessieren, inwieweit tatsächlich diese Beweissicherungsverfahren einen nachfolgenden Bauprozess vermieden haben. Statistiken dazu sind mir nicht bekannt. Ob es tatsächlich einen Zeitgewinn mit sich bringt, zunächst bei einem Verkehrsunfall ein Beweissicherungsverfahren durchzuführen, dürfte auch mehr als fraglich sein. Der Kläger ist doch der Gefahr ausgesetzt, ein Beweissicherungsverfahren durchzuführen und anschließend, bei Weigerung des Beklagten (bzw. des Antragsgegners im Beweissicherungsverfahren), dennoch Klage erheben zu müssen. Das dürfte insgesamt wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, als sogleich Klage zu erheben und eine Beweisaufnahme im laufenden Prozess durchzuführen. Dem Mandanten wird man als Rechtsanwalt eine um ca. 6 Monate längere Dauer bis zum vollstreckbaren Titel jedenfalls unter Hinweis auf eine mögliche verblassende Erinnerung der Zeugen und der Hoffnung, den Prozess nur möglicherweise zu vermeiden, nicht verkaufen können.

Der Aufwand

Im Unklaren bleibt auch, welche Fälle „geeignet“ sein sollen, in denen die Versicherung unmittelbar nach dem Unfall ein Beweissicherungsverfahren beantragt. In schwerer wiegenden Fällen (Unfälle mit erheblichen Personenschäden) warten alle Beteiligten zunächst ohnehin den Ausgang des Strafverfahrens ab und verschaffen sich über die Akteneinsicht die notwendige Kenntnis über alle Aussagen. In leichten Fällen, mithin dem Massengeschäft, dürfte der Aufwand den Gewinn an einer „objektiveren Grundlage“ nicht lohnen.

Außergerichtliche Streitbeilegung >> Gericht

Wir beobachten im Bereich der außergerichtlichen Streitbeilegung gerade den Effekt, dass nur ein Minimum an Tatsachengrundlage mit einer zügigen Entscheidung das Gros der Kleinfälle tagtäglich erledigt. Ich finde es jetzt leider nicht mehr, aber ich meine einmal (in der NJW) gelesen zu haben, dass PayPal allein in Deutschland ca. 40.000 Konfliklösungsanfragen pro Jahr abwickelt. Davon kommen fast keine zu Gericht. Die Käufer bzw. die Verkäufer scheinen sich also massenweise mit der von PayPal vorgenommenen Erledigung in irgendeiner Art und Weise abzufinden.

Die Seite der Versicherung

Ähnlich wird es auf Seiten der Versicherungen bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen laufen. Es wird anhand der polizeilichen Unfallaufnahme, des möglicherweise abgeschlossenen Strafverfahrens und der Aussage des Versicherungsnehmers und des Gegners eine Entscheidung getroffen. Dass alles erfordert für die Versicherung lediglich die Einsicht in die Strafakte und eine Äußerung des eigenen Versicherungsnehmers. Der Aufwand für ein Beweissicherungsverfahren, welches die Versicherung selbst betreiben müsste, dürfte den zuvor genannten Aufwand um ein Vielfaches übersteigen. Am Ende läuft das dann auf die wirtschaftliche Überlegung hinaus, wie viel Geld ich in die Ermittlung der richtigen Tatsachengrundlage stecken muss, um am Ende ein wenig richtiger zu regulieren. Das Beweissicherungsverfahren streckt nämlich der Antragsteller vor. Wenn am Ende, über alle Fälle gerechnet, der potentielle Gewinn das aufgewandte Geld nicht übersteigt, wird man einfach bei der aufwandsarmen Bearbeitung bleiben.

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