Befangenheit wegen Entwürfen

Ich habe gerade diese Entscheidung des OLG Frankfurt am Main auf LTO gefunden, wonach eine Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, weil versehentlich ein Urteilsentwurf an die Parteien versandt wurde.

Die abgelehnte Vorsitzende Richterin hat als Einzelrichterin im Verhandlungstermin vom 26.11.2024 Verkündungstermin auf den 21.1.2025 bestimmt. Mit Verkündungsprotokoll vom 22.4.2025 (richtig wohl 21.1.2025) wurde den Parteien ein unvollständiger Urteilsentwurf zugestellt. Neben dem Urteilskopf und einem vollen Rubrum enthält der Entwurf einen vollständig ausformulierten Hauptsachetenor, nach dem die Beklagten verurteilt werden, das von ihnen innegehalten Gartengrundstück zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Im nachfolgenden Kostentenor werden den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Es schließen sich ein fragmentarischer Tatbestand und ebensolche Entscheidungsgründe an. Wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 325 ff. d. eAkte verwiesen. Sowohl das Verkündungsprotokoll als auch der Urteilsentwurf sind von der abgelehnten Vorsitzenden Richterin signiert. (OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 4.6.2025 – 9 W 13/25, BeckRS 2025, 13979 Rn. 2, beck-online)

Umgekehrte Eheschließungen

Ich halte die Entscheidung nicht für sonderlich überzeugend. Es kommt aber auch ein bisschen darauf an. Das Versenden von Entscheidungsentwürfen ist zumindest an den Amtsgerichten kein unüblicher und ein Stück weit auch notwendiger Vorgang. In Scheidungssachen, bei denen ein Versorgungsausgleich vorzunehmen ist, ist es schlicht am einfachsten, den Parteien den vorbereiteten Scheidungsbeschluss zu übersenden, sodass alle noch einmal nachrechnen können, ob der Versorgungsausgleich korrekt vorgenommen wurde. Stellt sich nämlich hinterher heraus, dass man irgendeinen blöden Rechenfehler gemacht hat, bleibt den Parteien (oder den Versorgungsträgern) nur die Beschwerde zum OLG, wo sich dann alle anschauen und fragen, warum jetzt die Korrektur des Beschlusses eine ganze Instanz (und weitere Kosten) produziert. Die Kollegen am OLG haben auch Besseres zu tun.

Schnellfahren bis der Arzt kommt, nur dass er Polizist ist und ein Messgerät dabei hat

Auch in Bußgeldsachen ist es schlicht einfacher, Entscheidungsentwürfe zu übersenden. Angenommen, man ist viel zu schnell unterwegs gewesen und erhält im Bußgeldbescheid neben einem hohen Bußgeld (320 €) auch noch die volle Breitseite der staatlichen Gesundheitsfürsorge auferlegt (vulgo: einen Monat oder mehr laufen, Rad fahren etc.), dann sieht § 4 Abs. 4 BKatV die Möglichkeit vor, von der Anordnung des Fahrverbots ausnahmsweise gegen Erhöhung des Bußgeldes abzusehen. Üblicherweise wird das Bußgeld verdoppelt (640 €), und man muss das Auto keinen Monat stehen lassen. Dieses Ergebnis kann man dann ohne Hauptverhandlung durch Beschluss herbeiführen. Da viele Anwälte dem Beschlussverfahren schon im Voraus „gegen angemessene Erhöhung des Bußgeldes“ zustimmen, hat man als Richter jetzt zwei Möglichkeiten: 1. Man erteilt einen Hinweis, dass man beabsichtigt, die „angemessene Erhöhung“ in Form der Verdopplung vorzunehmen, oder 2. man macht gleich alles unterschriftsreif fertig und übersendet einen Beschlussentwurf, den man dann bei Zustimmung der Parteien einfach unterschreibt – und fertig. Das spart zwar nur minimal Aufwand (ein separates Schreiben weniger; übersenden müsste man aber sowohl Schreiben als auch Beschlussentwurf, lediglich das physische bzw. digitale Erstellen fällt weg). Das Bußgeldverfahren ist aber ein Massenverfahren – da machen minimale Einsparungen in der Masse durchaus etwas aus. Kein Anwalt der Welt käme auf die Idee, man sei da auf die „angemessene Erhöhung“ festgelegt, nur weil man einen Entwurf statt eines Schreibens übersendet hat. In geeigneten Fällen erzählen einem die Anwälte dann schon, warum nun ausgerechnet die Verdopplung aber viel zu viel für den Mandanten ist. Das kann man sich dann noch einmal überlegen – oder eben nicht.

Nagut dann gilt die Entscheidung des Senats nur im Zivilrecht, oder? ODER?

Selbst im Zivilrecht passt die Entscheidung nicht wirklich. Prüft man einen Fall und will die rechtlichen Fallstricke den Parteien mitteilen, erteilt man sogenannte Hinweise: „Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig ist, weil das Gericht nicht sachlich zuständig ist; zuständig ist vielmehr das Amtsgericht, weil [Mietsache über Wohnraum].“ Hier gibt es jetzt zwei Möglichkeiten: Man irrt sich, dann sagt einem der Kläger, warum man sich irrt, oder man irrt sich nicht. Dann schreibt man in aller Regel den Hinweis so, dass man das einfach in ein Urteil kopieren kann. Aus dem Umstand, dass man da jetzt nicht „Schreiben“, sondern „Urteilsentwurf“ drüberschreibt, zieht der Senat nun, dass man da aber aus Sicht einer Partei arg festgelegt wirkt. Als hätten die meisten Anwälte (und die dahinterstehenden Mandanten) das Gefühl, nach Hinweisen des Gerichts nicht unabhängig zu sein – unabhängig davon, ob da „Schreiben“ oder „Urteilsentwurf“ drübersteht. Man könnte natürlich einwenden, dass „Urteilsentwurf“ irgendwie finaler klingt als „rechtlicher Hinweis“. Ich halte das nur für Semantik. Entscheidend ist m. E. der Umstand, dass der Urteilsentwurf die Parteien in die Lage versetzt, ganz zielgenau auf die rechtliche Argumentation des Gerichts Einfluss zu nehmen. Der übersendete Entwurf ist gerade der genaueste Hinweis. Ich vermute mal, dass es bei einer Einzelmeinung eines einzelnen Senats eines Oberlandesgerichts bleiben wird. Die Anwälte kennen die von mir geschilderten Vorgänge ja auch.

Streitwertgrenze, zweiter Anlauf, Onlineverfahren

Nach einem Bericht von LTO plant die neue Bundesregierung die Streitwertgrenze nunmehr uaf 10.000 € anzuheben. Wie man das m.E. viel besser machen kann, habe ich vor zwei Jahren hier schon einmal geschrieben. Ich finde, dass die von mir gewählten Parlamentarier besseres zu tun haben, als sich mit solchen justizinternen Fragen zu beschäftigten. Da finde ich auch das Personalausstattungsargument nicht überzeugend. Würde das BMJ oder der BGH die Festlegung der Streitwerrtgrenze übernehmen, würden diese zuvor ja ohnehin alle beteiligten Oberlandesgerichte anhören. Da bestünde genug Raum auf Sonderfälle zu reagieren oder die Erhöhung lange im Voraus anzukündigen.

Darüberhinaus will die Bundesregierung mit dem Entwurf des Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit ein echtes Onlineverfahren an den Amtsgerichten einführen. Das erfordert aber die angesprochene Erhöhung der Streitwertgrenze. Ich finde das äußerst begrüßenswert. Ich habe aber unweigerlich Folgendes im Kopf:

Der Gesetzgeber von 1879 so:Der Gesetzgeber von heute:
„Wie regeln wir, wie eine Klage erhoben wird?“
§ 253 Klageschrift
(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) – (5) …
„Wie regeln wir, wie eine Klage erhoben wird?“
§ 1124 RegEntwurf ZPO
Digitale Kommunikation; Verordnungsermächtigung
(1) Das Online-Verfahren ist eröffnet, sofern die Klage mittels eines digitalen Ein-
gabesystems bei Gericht eingereicht wird. Die Übermittlung der Klage erfolgt dabei
auf einem sicheren Übermittlungsweg
a) nach § 130a Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 durch Rechtsanwälte oder
b) nach § 130a Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 und 4 durch Nutzer eines Postfachs
oder
über eine Kommunikationsplattform nach § 1130 durch Eingabe nach § 1131 Ab-
satz 1 oder durch Übermittlung nach § 1131 Absatz 2.
(2) Im Anschluss an die Klageeinreichung nach Absatz 1 können weitere digitale
Eingabesysteme für Anträge und Erklärungen der Parteien im Online-Verfahren ge-
nutzt werden. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
(3) Soweit digitale Eingabesysteme nach Absatz 2 bereitgestellt sind, müssen die
Parteien diese bei einer Anordnung des Gerichts nutzen
bei Ansprüchen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für
Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförde-
rung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung
der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46 vom 17.2.2004, S. 1; L 119 vom
7.5.2019, S. 202) oder
bei Ansprüchen, die den durch Rechtsverordnung nach Absatz 4 bestimmten An-
wendungsgebieten für eine Vielzahl gleichgelagerter und standardisierbarer Ver-
fahren unterfallen.
Satz 1 gilt nicht für Parteien, die natürliche Personen und nicht anwaltlich vertreten
sind; diesen steht auch die Einreichung von Anträgen und Erklärungen bei Gericht nach
den allgemeinen Vorschriften offen.
(4) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung
mit Zustimmung des Bundesrates Anwendungsgebiete für eine Vielzahl gleichgelager-
ter und standardisierbarer Verfahren im Sinne des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 2 zu
bestimmen.
(5) …

Ich verstehe auch hier die Regelungswut nicht. Lasst die Leute doch einfach* Klagen über irgendein Portal einreichen, verknüpft das mit Paypal oder sonstigen Zahlungsdiensten und spart diesen ganzen Autentifizierungskram. Den Missbräuchen wird die Justiz schon beikommen, wie sonst auch! Die zitierte Regelung prüft doch am Ende sowieso keiner. Betreibensaufforderungen aus dem Verwaltungsprozessrecht, strengere Anwendung des Rechtsschutzbedürfnisses und Vorschusspflichten sieben genug aus. Die Warnfunktion der Unterschrift wird durch den Button „jetzt kostenfplichtig Klagen, ihr Paypalkonto wird belastet“ viel mehr sichergestellt, als es die Unterschrift je konnte.

*Jaja ich weiß, dass das so einfach nicht ist, aber ich muss das nicht gut finden.

Cannabis – eine interessante Zwischenbilanz

Ich bin kein großer Fan der Polizeilichen Kriminalstatistik. Zu viele Verfahren, die nie das Licht eines Gerichtssaals – geschweige denn einer Verurteilung – erblicken. Als Anhaltspunkt für eine Entwicklung mag man sie vielleicht noch gebrauchen. Sie dient wohl eher der statistischen Auswertung der Polizeiarbeit. Verlässlicher wäre da wohl ein Blick auf die Entwicklung des Bundeszentralregisters. Ganz analog dazu existiert für „Verkehrssünder“ das sogenannte Fahreignungsregister (auch Punktekartei in Flensburg genannt). Ähnlich wie das Bundeszentralregister enthält es nur durch Bußgeldbescheid bestandskräftig festgestellte oder durch Urteil rechtskräftig festgestellte Verfehlungen.

n-tv berichtete kürzlich über die Entwicklungen im Jahr 2024. Meine Vermutung, dass das CanG zu keinem Anstieg der Verkehrsordnungswidrigkeiten führen wird, wird darin meines Erachtens bestätigt: Von 4,13 Millionen Einträgen betreffen lediglich 974 Delikte den Cannabiskonsum am Steuer. Im Vergleich dazu schlagen sonstige Drogenverstöße (ohne Alkohol) mit 46.919 Fällen zu Buche. Alkohol ist mit 107.384 Fällen Spitzenreiter unter den Rauschmitteln.

Die ganze Debatte um Cannabis – ja oder nein – scheint mir allein eine politische zu sein. Sicherlich ist die Droge gefährlich. Sie ist aber (im Vergleich zu Heroin) nicht so gefährlich, dass ein liberaler Staat sie nicht ohne Weiteres aushalten könnte. Die Bundesrepublik hat jedenfalls seit dem 01.04.2024 nicht aufgehört zu existieren. Aus der Rechtspraxis kann ich derzeit allein positive Effekte beobachten: kein Bewährungswiderruf mehr wegen Cannabisbesitzes bei einem ansonsten vollständig resozialisierten, mittlerweile steuerzahlenden Verurteilten; Angeklagte, die mittlerweile legal Cannabis konsumieren, um Crystal und den ständigen Konflikt mit der Polizei zu vermeiden.

Die Justizministerin in Sachsen bekommt es im Übrigen gerade hin, in ein und demselben Interview auf die Gefahren von Cannabis für unterentwickelte Gehirne Jugendlicher und Heranwachsender hinzuweisen (was zutrifft) und zugleich das Jugendstrafrecht für Heranwachsende einschränken zu wollen. Für sie gibt es vermutlich „Schrödingers Jugendlichen“: Solange man nicht genau hinschaut, ist sein Gehirn gleichzeitig reif genug, um wie ein Erwachsener behandelt zu werden, aber bei Cannabis? Ne da ist die Entwicklung des Gehirns noch lange nicht abgeschlossen.

Nobelpreis 2025

Nachdem der Nobelpreis für Physik dieses Jahr nicht an Physiker ging 😉 und auch Institutionen ausgezeichnet werden können, wäre es doch fantastisch, wenn er 2025 an eine Organisation ginge, die der ganzen Welt kostenlos das Wissen der Menschheit zur Verfügung stellt. Schade, dass es so etwas nicht gibt – das wäre aber auch zu gut, um wahr zu sein.

Weisungsrechte?

Nur ein paar kurze Gedanken zum Weisungsrecht für Staatsanwälte, wobei ich vorausschicke, dass ich kein „Beamtenrechtler“ bin, man möge mich also (wie sonst auch) gerne korrigieren.

Das Weisungsrecht aus §§ 146, 147 GVG dürfte doch jetzt schon erheblichen Grenzen unterliegen. Nach § 36 BeamtStG gilt Folgendes:

§ 36 Verantwortung für die Rechtmäßigkeit

(1) Beamtinnen und Beamte tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.

(2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben Beamtinnen und Beamte unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sie sich, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächst höhere Vorgesetzte oder den nächst höheren Vorgesetzten zu wenden. Wird die Anordnung bestätigt, müssen die Beamtinnen und Beamten sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen oder Beamten erkennbar ist. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen.

(3) Wird von den Beamtinnen oder Beamten die sofortige Ausführung der Anordnung verlangt, weil Gefahr im Verzug besteht und die Entscheidung der oder des höheren Vorgesetzten nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, gilt Absatz 2 Satz 3 und 4 entsprechend. Die Anordnung ist durch die anordnende oder den anordnenden Vorgesetzten schriftlich zu bestätigen, wenn die Beamtin oder der Beamte dies unverzüglich nach Ausführung der Anordnung verlangt.

§ 36 BeamtStG

Wir unterstellen mal den Anwendungsbereich auf Staatsanwälte und die Anwendbarkeit neben §§ 146, 147 GVG. In diesen Fällen dürfte für Weisungen der Vorgesetzten an Staatsanwälte wenig Raum bleiben. Die stets zitierte Weiterermittlungsweisung (oben auch im LTO Artikel) könnte daher an § 344 StGB scheitern (für die Einstellungsweisung folgt das aus § 258, 258a StGB). Man wird den Staatsanwalt, der von der Unschuld eines Beschuldigten überzeugt ist, nicht zur Weiterermittlung anweisen können, egal wie schriftlich und egal von welchem Minister sie kommt (genauer: er muss die Weisung nicht befolgen). Sollte der Staatsanwalt nicht von der Unschuld im Sinne von § 344 StGB überzeugt sein, gibt es auch keinen persönlichen Grund auf Weisung nicht weiter zu ermitteln. In diesen Fällen kommt es, auch wenn es einen Beigeschmack haben mag, auch nicht auf eine Einschränkung des Weisungsrechts an. Schon jetzt handhaben die Staatsanwaltschaften gleichgelagerte Fälle aus unterschiedlichen Gründen unterschiedlich. Der Beschuldigte hat nur ganz begrenzt einen Anspruch auf Gleichbehandlung durch die Staatsanwaltschaft: Er kann beispielsweise nicht verlangen, dass sein Verfahren auch nach § 153 StPO eingestellt wird, obwohl bei ihm die Voraussetzungen ebenso gegeben waren, wie bei dem Mitbeschuldigten, der bei einem anderen Staatsanwalt gelandet ist. Da schaut dann auch keiner hin, wenn die Einstellung faktisch durch eine höhere Dezernatsbelastung oder persönliche Einstellung des Staatsanwaltes bedingt war. In diesen Fällen liegen die Voraussetzungen für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen weiterhin vor. Man müsste ja gerade umgekehrt fragen, welche Gründe ein Staatsanwalt, der einen fortbestehenden Anfangsverdacht sieht, haben kann, auf Weisung nicht doch weiter zu ermitteln.

Auch die im verlinkten Artikel genannte Weisung, das ein Verhalten unter eine bestimmte Strafnorm fällt ist m.E. unzulässig: Man wird dem Staatsanwalt keine bestimmte Rechtsansicht vorschreiben können. Man würde ihn dann nämlich zu einer Gewissensentscheidung zwingen. Das mag nun in den allermeisten Fällen faktisch belanglos sein: „Herr StA X, legen Sie ihrer Anklage und § 69, 69a StGB bitte einen Grenzwert von 1.500 € zugrunde!“ In solchen Fällen wird das Problem nicht sichtbar. Lässt man das aber zu, spricht nichts gegen wesentlich sinistere Auslegungsanweisungen. Dann muss man das Ganze wieder über irgendwelche schwammigen Willkürklauseln oder „offensichtlich rechtswidrige Auslegung“ einhegen, was m.E. wenig überzeugend ist. Das Problem besteht nämlich darin, dass der Staatsanwalt gegen die von ihm erkannte Rechtslage handeln soll. Das Problem ist „alt“ und eine Lehre aus der NS-Zeit. Wir wollen ja gerade Beamte haben, die sich erheblich rechtswidrigen Weisungen widersetzen. Dieses Problem will § 36 Abs. 2 BeamtStG lösen und daraus folgt schon jetzt die Dokumentationspflicht. Das setzt aber voraus, dass der Fall so gestrickt ist, dass der Beschuldigte nicht unschuldig ist (s.o.). Die Auslegungsweisung kann also allenfalls das Wie der Verfolgung „Schuldiger“, die auch der betreffende Staatsanwalt selbst für verdächtig hält, regeln.

Ich sehe daher das Problem nicht. In den allermeisten „Weisungsfällen“ läuft das so ab, dass der Staatsanwalt der noch nicht geäußerten Weisung nachkommt, weil er tatsächlich etwas falsch gemacht gemacht hat (Fehler passieren überall) oder er selbst die Weiterermittlung oder Gesetzesauslegung für vertretbar hält. Weist die Generalstaatsanwaltschaft auf eine Beschwerde des Geschädigten gegen den Einstellungsbescheid den Staatsanwalt zu Weiterermittlung an, ist da in aller Regel auch was dran.

Wenn man also diese rechtlichen Grenzen zieht (Unschuldige – erkannte Rechtslage – keine Fehler) und innerhalb dieses Bereichs jetzt den krassen Fall konstruiert: Justizminister der A-Partei ruft Staatsanwältin Müller an und ordnet die Weiterermittlung gegen einen Politiker der verfeindeten B-Partei an. Staatsanwältin Müller sieht einen Anfangsverdacht gegen den Politiker und wollte eigentlich die Ermittlungen einstellen, weil sie das in vergleichbaren Fällen immer so macht, sieht aber auch noch das Weiterermittlungspotential. Dann ist in diesen Fällen schon nach jetziger Rechtslage kein Grund ersichtlich, warum nicht weiter ermittelt werden sollte. Die aus rechtsstaatlich bedenklichen Gründen erteilte Weisung ändert nichts daran, dass bspw. die Generalstaatsanwaltschaft auch völlig grundlos nach Einstellung die Weiterermittlung hätte anordnen können. Kann in solchen Fällen die de lege ferenda rechtswidrige Weisung durch eine grundlose rechtmäßige Weisung ersetzt werden?

Die Kommentare werden mich bestimmt eines besseren belehren. Ich sammle das dann vielleicht in einem eigenen Beitrag. Hier kann ich bestimmt noch viel lernen.

Scheinstudenten sind Betrüger?

Ich bin gerade über diesen Short gestoßen:

Mein erster Gedanke: ‚Ich glaube nicht‘. Also habe ich kurz darüber nachgedacht:

Der Scheinstudent verbraucht keine Steuergelder, er ist in NC-freien Studiengängen eingeschrieben, der Studienplatz wird also sowieso vorgehalten. Selbst wenn er nicht immatrikuliert wäre, würden die Universitäten den Studienplatz nicht streichen oder Geld einsparen. Auch das Studentenwerk erleidet keinen finanziellen Schaden, denn es erhält den Studentenbeitrag und stellt dafür die Mensa, das Semesterticket (über Verträge mit den Verkehrsunternehmen) etc. zur Verfügung. Das Studentenwerk hat sogar einen bilanziellen Vorteil, weil der Scheinstudent zur durch das Studentenwerk i.d.R. gebildeten Solidargemeinschaft beiträgt, ohne die Leistungen zu nutzen. Zu den Krankenkassen weiß ich jetzt ehrlich gesagt nichts Genaues. Ich dachte, man ist bisher bis 25 Jahren familienversichert, was man aber auch wäre, wenn man arbeitslos wäre (aber das ist nur eine Vermutung). Danach fallen auch als Student Krankenversicherungsbeiträge an. Das müsste man sich dann genau anschauen: Wenn ich ohne das Studium arbeitslos wäre, wird vermutlich kein Schaden bei den Krankenkassen entstehen, da das dann „vom Amt“ bezahlt wird. Wenn ich während des Scheinstudiums (wie meistens) voll arbeiten gehe, zahle ich definitiv mehr Krankenversicherungsbeiträge als ohne Arbeit. Bleibt noch der Studentenstatus, den ich in Bars/Kinos/Theater etc. ausnutze. Da dürfte es am Irrtum fehlen, weil die Anbieter auf den Status und nicht das tatsächliche Studium abstellen. Der Status wurde mir aber wirksam von der Universität verliehen.

Eine Täuschung über das Studieren an sich wird vorliegen, da der Scheinstudent nicht studiert. Der Betrug setzt aber nicht nur die Täuschung voraus und meine 2 Minuten, die ich mir darüber Gedanken gemacht habe, lassen mich jetzt auch nicht sehen, in welchen Konstellationen die übrigen Merkmale des Betruges erfüllt sein sollen.

Überlastung durch Freilassung?

Die Cannabislegalisierung ist (faktisch) durch und in den letzten Tagen wurde (vergeblich) versucht, auf die anstehende Überlastung der Justiz durch die Amnestieregelung in Artikel 13 CanG hinzuweisen. Durch Verweise landen wir schließlich bei Art 313 EGStGB:

(1) Rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, werden mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind. (…)

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn ein vor Inkrafttreten des neuen Rechts erlassenes Urteil nach diesem Zeitpunkt

1. rechtskräftig wird, weil ein Rechtsmittel nicht eingelegt oder zurückgenommen wird oder das Rechtsmittel nicht zulässig ist, oder

2. sonst rechtskräftig wird, ohne daß der Schuldspruch geändert werden konnte.

(3) Ist der Täter wegen einer Handlung verurteilt worden, die eine nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat (§ 73 Abs. 2 des Strafgesetzbuches in der bisherigen Fassung), so sind die Absätze 1 und 2 nicht anzuwenden. Das Gericht setzt die auf die andere Gesetzesverletzung entfallende Strafe neu fest, wenn die Strafe einer Strafvorschrift entnommen worden ist, die aufgehoben ist oder die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr unter Strafe stellt oder mit Geldbuße bedroht. Ist die Strafe der anderen Strafvorschrift entnommen, so wird sie angemessen ermäßigt, wenn anzunehmen ist, daß das Gericht wegen der Verletzung der gemilderten Strafvorschrift auf eine höhere Strafe erkannt hat.

(4) Enthält eine Gesamtstrafe Einzelstrafen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 und andere Einzelstrafen, so ist die Strafe neu festzusetzen. (…)

(5) Bei Zweifeln über die sich aus den Absätzen 1 und 2 ergebenden Rechtsfolgen und für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4 gelten die §§ 458 und 462 der Strafprozeßordnung sinngemäß.

Art 313 EGStGB

Wie man an der verwendeten Rechtschreibung sieht, ist die Vorschrift alt. Der Gesetzgeber hat diese Fälle bei Erlass also schon mitgedacht. Ich denke daher (also aus gesetzessystematischer Sicht(!); ich bin kein Staatsanwalt mehr und habe nie in einer BtM-Abteilung gesessen), dass es zu keiner nennenswerten Überlastung kommen wird.

So wie ich Art 313 EGStGB lese, dürfte niemand sofort am Donnerstag bzw. Montag oder Dienstag zu entlassen sein: Das alte Urteil ist nach wie vor rechtskräftig und wird erst durch den Beschluss nach Art 313 Abs. 3 EGStGB „neu“ festgesetzt. Das alte Urteile ipso iure mit Inkrafttreten des KCanG alle unwirksam werden, sehe ich daher nicht, weil Unwirksamkeitsfolgen für staatliche Handlungen entweder durch die Verfassung oder durch ein Gesetz unmittelbar angeordnet werden müssen, siehe § 44 VwVfG bzw., besser: § 354a, 354 StPO. Gerade in letzterem Fall sieht man schön, wie sich der Gesetzgeber das denkt: Wenn schon nicht rechtskräftige Urteile aufgehoben werden müssen und nicht ipso iure unwirksam werden, muss das erst recht für rechtskräftige Urteile gelten. Es gibt auch keine dem § 120 Abs. 3 S. 2 StPO vergleichbare Norm. Die Leute also gleich rauszulassen, dürfte nur deswegen nicht rechtswidrig (gegen das noch rechtskräftige Urteil verstoßen) sein, weil man von Verfassung wegen sagen kann, dass Freilassen im offensichtlichen Falle nur Formsache sei. Umgekehrt wird man aber nicht argumentieren können.

Für Art 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB dürfte nichts anderes gelten, weil da steht, „werden erlassen“ und nicht „sind erlassen“.

Die Entwicklung bleibt abzuwarten. Ein kleiner Disclaimer noch: Ich habe das jetzt ohne Kommentare und bisher ergangener Rechtsprechung zu Art 313 EGStGB einfach mal aus der Hand „geprüft“. Das wären halt die Gedanken, denen ich bei einer richtigen Prüfung nachgehen würde.

Die Lösung aller Probleme ist …

Beschleunigtes Verfahren

Das Beschleunigte Verfahren ist gerade aufgrund der Situationen in deutschen Freibädern (oder nur der Freibäder in Berlin? So genau beobachte ich das nicht, meine aber nur von Berlin zu lesen) in aller Munde. Carsten Linnemann forderte daher in der Bild am Sonntag:

Die Durchsetzung unserer Gesetze. Ganz einfach! Es braucht Schnellverfahren gegen Gewalttäter, das Justizsystem muss entsprechend organisiert werden. Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. Auch am Wochenende. Die Strafprozessordnung gibt das her. Auch das Strafmaß muss voll ausgeschöpft werden, bis hin zu Haftstrafen.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: Schnellverfahren gegen Freibad-Schläger! | Politik | – 17.07.2023 BILD.de

Wenn ich irgendjemanden sagen höre: „Ganz einfach!“, dann will ich mittlerweile aus Reflex antworten:
For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, die sich so zusammenfassen lassen:

Der Vorschlag des neuen CDU-Generalsekretärs ist Populismus pur, verkennt rechtsstaatliche Grundsätze und die Realität in der Justiz

ntv.de 17.07.2023 Sonja Eichwede – rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Nach ihr, so verrät der ntv.de Artikel weiter, schrecke Strafe allein nicht ab und das sei im ersten Semester Kriminologie schon dran. Strafe (allein) schreckt nicht ab, das verdient uneingeschränkte Zustimmung und kann nicht oft genug wiederholt werden. Es ist einer dieser kontraintuitiven Fakten des Lebens, den man einfach schlucken muss. Wer sagt: „X müsse härter bestraft werden, damit das endlich aufhört!“, hat wiederum reflexartig verdient: For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong. Wer sich gegen diesen Fakt stellt und ihn einfach nicht glauben will, setzt sich m.E. dem Verdacht aus, dass es ihm nicht darum geht, das gesellschaftsschädliche Verhalten abzustellen, sondern irgendjemanden halt einfach bestrafen zu wollen. das kann man m.E. auch so sehen, man sollte dann aber nicht so tun, als würde das an den Straftaten irgendetwas ändern; harte Strafen/Straftaten verhindern sind einfach zwei verschiedene kaum verknüpfte Dinge.
Zurück zu Frau Eichwede: was sie mit dem ersten Semester Kriminologie meint, weiß ich nicht ganz. An den mir bekannten Unis ist das ein Schwerpunktbereich, der später im Studium kommt. Das spielt aber auch keine Rolle. Den Fakt kriegt man eigentlich auch in jeder guten 1. Semester Strafrechtsvorlesung mitgeteilt.

Im Weiteren geht Frau Eichwede noch auf das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff StPO ein. Danach stellt die Staatsanwaltschaft im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht schriftlich oder mündlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Das ergibt nur in den Fällen geständiger Täter Sinn, oder wenn es irgendwie 5 Belastungszeugen gibt und die Polizei den Beschuldigten und die Zeugen gleich mitbringt. In allen andern Fällen gilt es erstmal zu ermitteln.

Unabhängig davon irren alle. Die Strafjustiz kann Schnellverfahren und macht das für meinen Geschmack auch zu viel.
Ich habe leider auf die Schnelle keine genauen Zahlen gefunden, aber die Justiz erledigt einen guten Teil der Strafverfahren durch das sogenannte Strafbefehlsverfahren, §§ 407 ff StPO. Ich spare mir die langweiligen Juradetails, aber im Strafbefehlsverfahren gibt es faktisch nen gelben Brief (als wäre man zu schnell gefahren), dann gibt es zwei Wochen Einspruchsfrist und danach ist man rechtskräftig verurteilt, mit Eintrag im „Führungszeugnis“ (richtig Bundeszentralregister). Keine Hauptverhandlung, kein nerviger Staatsanwalt, kein blöd rumfragender Richter, keine Öffentlichkeit. Wir schicken Leuten Briefe und verurteilen sie auf diesem Wege wegen Delikten, die in einer nicht unerheblichen Zahl bestimmter Delikte dadurch begangen werden, dass die Leute Briefe nicht lesen (Fahren trotz Fahrverbot, ALG II Betrug, jetzt Bürgergeldbetrug(?)).

Sollte sich der Beschuldigte doch mit einem Einspruch wehren, gelten übrigens für dann anzuberaumende Hauptverhandlungen die Regelungen über das beschleunigte Verfahren (§§ 411 Abs. 2 S. 2, 420 StPO), was gelegentlich übersehen wird. Herrn Linnemanns Forderungen kann man also auch heute schon sehr sehr sehr zügig umsetzen.

Ein genialer Schachzug: Warum der Bundesgerichtshof die Macht über die Streitwertgrenze übernehmen sollte!

Verteilungskampf zwischen Landgericht und Amtsgericht

Die aktuelle und höchst empfehlenswerte Studie zum Rückgang der Klageeingangszahlen hat die Debatte – böswillig würde man von Verteilungskampf sprechen – um die Streitwertgrenze für Zivilsachen am Amtsgericht neu entfacht.

Die in § 23 Nr. 1 GVG geregelte Streitwertgrenze von 5.000 € existiert seit 1993, damals wurde durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege der Streitwert von 6.000 DM auf 10.000 DM erhöht. Diesen hat man mit der Umstellung auf den Euro schlicht in 5.000 € umgerechnet. Legt man die Inflationsdaten seit 1993 zugrunde, ergibt sich für heute eine Streitwertgrenze von 8.766,94 €. ChatGPT wirft übrigens 16.260 € aus, weil ihr zwischendurch die Umrechnung DM/Euro durchgeht. Vermutlich passt mein Wert auch nicht ganz, aber so ungefähr sollte das hinkommen.

Bevor man jetzt wieder irgendwelche Zahlen in den Raum wirft, sollte man vielleicht lieber dynamische Grenzen wählen: Mein Vorschlag wäre ja, dass der Bundesgerichtshof de lege ferenda einfach mit seiner Geschäftsverteilung, die er zum 1.1. eines jeden Jahres macht, eine Streitwertgrenze für die Amtsgerichte festsetzt. Diese Vorgehensweise kennen wir schon von §§ 288 Abs. 1 S. 2, 247 BGB. Hier gibt im Wesentlichen die Europäische Zentralbank den Verzugszinssatz vor. Warum nicht also den Bundesgerichtshof oder das Justizministerium die Streitwertgrenze festsetzen lassen? Ferner sollten alle Verkehrssachen an den Amtsgerichten zentralisiert werden (was wohl auch in der Diskussion ist). Im Strafbereich sind sie das schon (nicht direkt, sondern nur über die Strafgrenze von 2 bzw. 4 Jahren in § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG; was bei Verkehrssachen praktisch immer der Fall ist). Als Strafrichter verhandle ich die ganzen Schadensersatzansprüche im Adhäsionsverfahren nach §§ 403ff StPO unabhängig vom Streitwert. Sobald das Verfahren aber bei meinem Kollegen in der Zivilabteilung anhängig gemacht wird, ist bei 5.000 € Schluss.

Der Titel ist übrigens von ChatGPT generiert. Ich wollte mal irgendwas mit Clickbait probieren. Hier sind die Alternativen:

  • „Ein Tabubruch im Justizsystem: Die unglaubliche Wahrheit hinter den Streitwertgrenzen enthüllt!“
  • „Diese skandalöse Regelung lässt Kläger verzweifeln – Die Schockierende Wahrheit über die Streitwertgrenze!“
  • „Aufgedeckt: Das düstere Geheimnis der Streitwertgrenze – Anwälte sind entsetzt!“
  • „Die unterschätzte Gefahr: Warum die Streitwertgrenze Ihre Rechtsansprüche zerstören kann!“
  • „Reich werden im Gerichtssaal? So umgehen Sie geschickt die lächerliche Streitwertgrenze!“
  • „Revolution im Gerichtssaal: Dieser Vorschlag könnte die Streitwertgrenze für immer verändern!“
  • „Bundesgerichtshof im Visier: Wie dieser radikale Vorschlag das deutsche Justizsystem auf den Kopf stellen könnte!“
  • „Streitwertgrenze adé? Ein bahnbrechender Vorschlag könnte das Justizministerium erschüttern!“
  • „Der endgültige Durchbruch: Wie dieser innovative Vorschlag die Streitwertgrenze auf den Kopf stellt und Gerechtigkeit für alle bringt!“

Temptation Island und eine gefährliche Parallele zur Beschuldigtenidentifikation


Ich habe Temptation Island geschaut und ein Phänomen erlebt, dass auch in der Praxis regelmäßig vorkommt und das mich trotzdem überrascht hat.

Konzept

„Temptation Island“ ist eine Reality-TV-Show, in der vier Paare getrennt voneinander auf einer Insel in verschiedenen Villen (eine für die Männer und eine für die Frauen) leben. Während ihres Aufenthalts sind sie von attraktiven Singles umgeben, die als „Verführer“ fungieren. Diese Verführer versuchen, die Beziehungen der Paare auf die Probe zu stellen, indem sie mit den Kandidaten flirten und Zeit verbringen. Die Moderatorin präsentiert dann den Vergebenen provokant zusammengeschnittene Szenen aus der jeweils anderen Villa.

Verwechslung

In der ersten Folge wurde einer der Verführer namens Antonio mit den sinngemäßen Worten geteasert, er habe hier die wahre Liebe gefunden. Nach den Teasern begann die Show. Es wurde schnell klar, dass der größte Star der Show die krass falsche Selbstwahrnehmung der Männer war, was Lola Weippert mit den Worten quittierte: „Ihr wisst schon, dass ihr hier beobachtet werdet?“ Adrian, einer der Kandidaten, ging dann während der ersten Partys auch richtig ab. Daher dachte ich die ganze Show über, er sei der Typ aus dem Teaser (Antonio) gewesen. Erst am Ende der Show, als klar war das es Adrian nicht war, habe ich voller Verwunderung erneut in die erste Folge geschaut und meinen Irrtum festgestellt. Zu dieser Zeit kannte man, anders als zu Beginn der Show, die wichtigsten Verführer und alle Kandidaten. Beide haben m.E. auch eine entfernte Ähnlichkeit.

Sequentielle Wahllichtbildvorlage

Diese Verwechslungen können leider sehr schnell passieren. Ähnliche Phänomene treten auch bei Zeugen von Straftaten auf. Sie suchen eigenständig im Internet nach Verdächtigen und finden Personen, von denen sie glauben, dass es sich um den Täter handelt. Diese Arten der Identifizierung von Beschuldigten ist beinahe wertlos und erschwert die zukünftige Ermittlung. Die Zeugen schießen sich dann nämlich auf diese gefundenen Leute ein und sind sich am Ende 100 % sicher, dass es sich um den Täter handelt. Die Ermittlungsbehörden verwenden daher die sequentielle Wahllichtbildvorlage. Zu den Anforderungen führte das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 17. März 1983 aus:

Die erste (Wahl-) Gegenüberstellung ist entscheidend. Fehler vor und bei der ersten Gegenüberstellung sind i.d.R. nicht wiedergutzumachen und beeinträchtigen den Wert des Wiedererkennens als Beweismittel für das gesamte Verfahren.

  1. a) Daher ist zunächst alles zu vermeiden, was das Erinnerungsbild des Augenzeugen vom Täter vor der ersten Gegenüberstellung beeinträchtigen könnte. Dies gilt insb. für die Vorlage von Lichtbildern vom Tatverdächtigen oder für die Möglichkeit, ihn als Einzelperson als Verdächtigen oder unter Umständen, die ihn als Verdächtigen erscheinen lassen, zu sehen. (…)
    b) Bei der Gegenüberstellung selbst ist darauf Bedacht zu nehmen, daß
    aa) alle Auswahlpersonen der von dem Augenzeugen gegebenen Täterbeschreibung so gut wie unter den jeweiligen Umständen möglich entsprechen, insb. auch in Größe und Alter; bb) der Tatverdächtige sich äußerlich auch im übrigen möglichst wenig von den Auswahlpersonen unterscheidet, insb. in der Art der Kleidung und im sonstigem Habitus; cc) alles vermieden wird, was eine suggestive Wirkung auf den Augenzeugen dahin haben könnte, der Täter müsse sich unter den Auswahlpersonen befinden.
  2. Die Wiedererkennung anläßlich einer (Wahl-)Gegenüberstellung ist für die Beurteilung des Tatverdachts im Verlauf des Verfahrens bis zur Hauptverhandlung und in der Hauptverhandlung selbst als vorweggenommener Teil der Beweisaufnahme von entscheidender Bedeutung.
NStZ 1983, 377, beck-online

Wenn man also das nächste Mal in einer Fernsehserie sieht, wie der Staatsanwalt den Zeugen fragt, ob der Täter sich im Raum befinde und der Zeuge dann auf den Angeklagten zeigt, wird deutlich, dass diese Art der Identifizierung allein nicht ausreicht, um die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei zu beweisen. Der Zeuge mag zwar fest von seiner Identifikation überzeugt sein, jedoch ist es für das Gericht als unbeteiligter Dritter, der niemanden persönlich kennt, äußerst schwierig, eine eigene sichere Überzeugung zu entwickeln, dass der Angeklagte tatsächlich der Täter ist und der Zeuge keinerlei Irrtum unterliegt.

Solche Situationen verdeutlichen die Bedeutung von objektiven Beweismitteln und einer sorgfältigen und unvoreingenommenen Untersuchung, um eine zuverlässigere Urteilsfindung sicherzustellen. Die sequentielle Wahllichtbildvorlage, wie sie von den Ermittlungsbehörden verwendet wird, ist ein Ansatz, der solche Verwechslungen minimiert und die Genauigkeit der Identifizierung verbessert.

Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, wie leicht Verwechslungen entstehen können und wie fehleranfällig menschliche Wahrnehmung und Erinnerung sein können. Eine umfassende und objektive Herangehensweise bei der Identifizierung von Verdächtigen ist entscheidend, um mögliche Fehlurteile zu vermeiden und eine gerechte Justiz zu gewährleisten.